: Die Linke will den Papst zu ihrem Freund
■ Die italienische Soziologin Laura Balbo von der „Sinistra Independiente“ über die neue Politik in der Abtreibungsfrage
taz: Nach dem Kampf der Frauenbewegung der siebziger Jahre für das Recht auf Abtreibung, scheint es im heutigen Europa eine Art Umkehr in diesem Thema zu geben. Wie erklärt sich das?
Laura Balbo: Ich glaube, es gibt zwei Motive, die ineinanderspielen. Zum einen haben die Frauen, die damals gemeinsam gehandelt haben, der Öffentlichkeit ihren politischen Diskurs aufgezwungen. In Europa ist die Diskussion um die Abtreibung wohl das erste Thema gewesen, das von den Frauen zur öffentlichen Debatte gemacht worden ist. Jetzt geschieht so etwas wie ein Gegenschlag gegen die Erfolge der sechziger und siebziger Jahre. Diese Rückkehr entspringt dem Wunsch, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, den Frauen dieses Selbstbewußtsein, auch diese große Einheit wieder zu nehmen.
In Ost- und Westeuropa ist die selbe Entwicklung zu beobachten. Geschieht sie aus den selben Motiven heraus?
Die Geschichte ist jeweils unterschiedlich, jedoch gibt es eine sehr gefährliche Annäherung zwischen beiden Entwicklungen. Die Geschichten sind unterschiedlich, eben weil es in den westlichen Ländern eine Bewegung in diese Richtung gegeben hat, während es in den osteuropäischen Ländern ein Konzept war, das von oben her von den Regimes aufgedrückt wurde, die jetzt unter Anklage stehen. Das heißt, die Entwicklung ist eine andere, jedoch gibt es eine politische Konvergenz.
Die Linke schweigt zu diesem Thema fast völlig...
Das ist das größte Problem an der Sache. Ich glaube, daß es dafür je nach Kontext unterschiedliche Gründe gibt. In Italien zum Beispiel versucht die Linke ihre Identität als demokratische Partei zu stärken, die in einer liberalen Tradition steht, und deshalb will sie sich nicht mit Prinzipien anlegen, die sie für fundamental für die Geschichte des Okzidents hält. So wollen sie sich hier in Italien zum Beispiel nicht offen mit den Prinzipien auseinandersetzen, die ständig von der Kirche proklamiert werden.
Man versichert, die Möglichkeit einer Übereinkunft bezüglich der allgemeinen Grundrechte bestehe und reduziert dabei den starken Widerspruch, den es traditionell zwischen der Linken, speziell den Frauen, und der Kirche gibt, auf's Minimum.
Bislang hat sich die Linke immer durch eine kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche ausgezeichnet. Wie erklärt sich diese neue Wendung?
Sie erklärt sich eben aus diesem Versuch, sich hier ein neues Image zuzulegen, von einer demokratischen Partei, die mit anderen fortschrittlichen Kräften zusammenarbeitet. Und die Kirche bekommt in diesem Zusammenhang den Titel der Fortschrittlichkeit im höchsten Ausmaß.
Dem Papst wird die Fähigkeit zugesprochen, Grundwerte anzusprechen — besonders bezüglich des Krieges. Man versucht zu sagen, die Kirche habe wichtige Dinge getan, und wir erkannten das während ihrer pazifistischen Kampagne an. Das ist ein offener Versuch, den Widersprüchen aus dem Weg zu gehen. Viele mögen guten Glaubens sein, wenn sie sich Positionen annähern, die auf traditionelle Grundwerte zurückgreifen.
Geht es dabei mehr um Pragmatismus oder hängt das mit der Krise durch den Zusammenbruch der osteuropäischen Regimes zusammen?
Es liegt wohl zum Teil an der Krise in der osteuropäischen Welt. Das heißt, es geht darum, sich bestimmte Freiheitswerte der abendländischen Tradition anzueignen. Es mag aber auch ein momentaner Pragmatismus mit Blick auf die katholische Wählerschaft sein.
Was die italienische Linke angeht, so glaube ich nicht, daß es sich wirklich um eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte handelt. Es ist mehr eine Haltung der Vorsicht und Furcht davor, Prioritäten wie die der Selbstbestimmung der Frauen zu setzen.
Wird das in der nächsten Zeit einen Widerstand seitens der Frauen hervorrufen?
Anhand der Debatten der letzten Zeit sind bereits Gegenreaktionen entstanden, die vorher nicht zu beobachten waren. Das Problem in Italien ist jedoch, daß häufig bestimmte schwerwiegende Dinge geschehen, die dann unversehens aus der Öffentlichkeit verschwinden, um dann irgendwann wieder aufzutauchen. Interview: Antje Bauer
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