Daimler-Pfarrer zensiert

■ Betriebsratschef des Werks in Stuttgart-Untertürkheim ließ Teilauflage der Gewerkschaftszeitung vernichten

Berlin (taz) — „Der Takt ist erbamungslos.“ So begann ein Bericht des Stuttgarter Betriebsseelsorgers Guido Lorenz, der im Januar dieses Jahres für etwa vier Wochen im 1,88-Minuten-Takt am Band bei Daimler in Untertürkheim Ölfilter und Wärmetauscher montiert hat. Eigentlich sollte das Betriebspraktikum des engagierten Seelsorgers sechs Wochen dauern, aber nach vier Wochen wurde ihm mitgeteilt: „Mercedes-Benz verzichtet auf ihre weitere Mitarbeit.“ Grund: Lorenz hatte während des Golfkrieges Antikriegs-Zettel an Motoren für Militärfahrzeuge aufgeklebt. Der Bericht des Geistlichen über Akkord-Streß, Antikriegs-Protest und Rausschmiß erschien ein halbes Jahr später im 'Scheibenwischer‘, der Zeitung der IG-Metall-Vertrauensleute bei Daimler in Untertürkheim und wurde jetzt zum Gegenstand heftigen Konflikts im Betriebsrat des Daimler-Stammwerkes.

Denn offensichtlich will Helmut Funk, Betriebsratsvorsitzender in Untertürkheim, auf sein Werk nichts kommen lassen. Kaum hatte er die Zeitung zu Gesicht bekommen, sorgte er dafür, das eine noch nicht verteilte Restauflage von rund 5.000 Exemplaren (Gesamtauflage: circa 25.000) in den Müllcontainer wanderte. Zwar hat der Betriebsrat eigentlich gar nichts mit der Zeitung zu tun — sie wird von gewerkschaftlichen Daimler-Vertrauensleuten gemacht und vom Stuttgarter IGM-Bevollmächtigten Ludwig Kemeth herausgegeben. Derartige Feinheiten kümmerten jedoch den Betriebsratsvorsitzenden nicht. Für die Betriebsratsfraktion der ehemaligen oppositionellen Plakatgruppe protestierte nun der Betriebsrat Gerd Rathgeb gegen „diese Zensurmaßnahme nach Stasi-Art“. Er forderte Anfang Juli in einem Aushang Funks Rücktritt. Es sei ein Skandal, daß ein Betriebsratsvorsitzender, der mit der Zeitung nichts zu tun habe, „Meinungen unterdrückt und Redaktion wie Belegschaft schlichtweg entmündigt“. Funk jedoch bleibt stur, und die IGM-Verwaltungsstelle Stuttgart stellt sich taub. marke