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„Auf den Inhalt kommt es an“

■ Die Betreiber einer neuen Supermarktkette in Ostdeutschland haben die Zeichen der Zeit erkannt

Eine blauweiße Stelltafel in der Greifswalder Straße im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg zeigt den Weg durch eine Toreinfahrt, über den ersten Hinterhof und durch ein rostiges Eisengitter auf den zweiten. In einem Lagerraum mit kahlen Wänden und provisorischer Einrichtung befindet sich eine Filiale der neuen Supermarktkette „Parkmarkt“. Die Waren liegen auf spärlichen Regalen noch in Pappkartons verpackt: Thüringer Wurstwaren, Spreewälder Sauerkraut, Apfelschnitten aus dem Havelland. Der Parkmarkt verkauft ausschließlich Produkte aus ostdeutscher Fertigung — zu Billigpreisen. Groß ist das Angebot noch nicht; um den Bedarf vollständig zu decken, reicht es nicht aus. Es gibt eine Sorte Nudeln, eine Sorte Fisch und eine Sorte Bohnen. Senf, Marmelade und Zwieback, Produkte, die sich schon in DDR-Zeiten bewährt hatten, finden reißenden Absatz. Von der Qualität der Waren sind die Kunden überzeugt: „Man darf sich nicht nur von einer schönen Verpackung blenden lassen. Auf den Inhalt kommt es an.“

Die Parkmarkt-Kette hatte die Zeichen der Zeit schnell erkannt. Zunächst, bei ihrer Gründung vor einem halben Jahr, verkaufte sie noch Restbestände aus den früheren Staatshandelsbetrieben. Doch die sind fast verbraucht, und immer mehr neue Produkte ostdeutscher Anbieter rücken ins Sortiment. Die Euphorie über Westwaren ist dahin. Weil das Geld oft nicht reicht, besinnen sich die ostdeutschen Kunden wieder auf die billigen Ostwaren: „Schließlich haben wir 40 Jahre lang davon gelebt.“ Nostalgie und der normative Zwang des Faktischen führen zur neuen Devise: „Ich kaufe Ost!“

Fast automatisch habe sich diese Marktlücke aufgetan, sagt der Geschäftsführer des Parkmarktes, Andreas Lamla, der 1984 die DDR verlassen hatte. Von einer Idee könne man nicht sprechen, meint er: „Wenn ein Haus brennt, und ich sehe einen Feuerlöscher, dann ist es doch keine Idee, ihn zu gebrauchen.“ Finanzielle Unterstützung hat der 36jährige Lamla genausowenig bekommen wie die ostdeutschen Anbieter der Waren — kein Startkapital, keine Subventionen, keine Präferenzen. Sie müssen sich mit den Appellen zufrieden geben, mit denen sich Wirtschaftsminister Möllemann an die Kunden wendet, Ostprodukte zu kaufen. Dieses Motto hat sich der pragmatische Unternehmer Lamla zu eigen gemacht: „Ein Konzept ist nur dann gut, wenn es sich von selbst rechnet.“

In den neuen Ländern tut es das auch. Der Parkmarkt hat inzwischen seine 16. Filiale eröffnet. Und während die alten Bundesländer sich eher mühsam auf das „neue“ Angebot einstellen, finden die Produkte aus den FNL im Ausland guten Absatz. In den USA feiern Zeitungen die Qualität des Ostdeutschen Senfs. Im Land der Barbecues hat ein regelrechter Run auf dieses Produkt eingesetzt. Hierzulande soll Originalität dazu beitragen, dem schlechten Ruf der Produkte entgegenzuwirken. So werden nicht mehr profane Gummibärchen in Tierformat angeboten. Es muß schon der Trabi herhalten, um Kunden aus dem Westen zu locken. Den Westkunden fehlt auch das Motiv, das im Osten die Kaufgewohnheiten so schlagartig verändert hat: die Hoffnung, Arbeitsplätze zu erhalten und der Wirtschaft in den neuen Ländern Impulse zu geben. Doch Andreas Lamla ist zuversichtlich, daß auch die Westler bald von seinem Supermarkt-Konzept überzeugt sein werden. Innerhalb eines einzigen Jahres ändere sich das Kaufverhalten eben nicht. Aber: „Irgendwann hat doch jeder die Nase voll, ständig zwischen 250 Gummibärchen-Sorten aussuchen zu müssen.“ Und wenn seine Rechnung doch nicht aufgehen sollte, wäre das auch nicht so tragisch. „Firmenkonzepte sind flexibel. In lausigen Zeiten werde ich dann eben mit Barrikadenzubehör handeln.“ Thekla Dannenberg, Berlin

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