Flaute für den Lungenkrebs

■ Die Tabakzeit im Oderbruch ist abgelaufen/ Der Aufwand lohnt nicht, denn die Blätter bekommen im Oderbruch nicht die richtige Reife

Ein abgestorbenes Bahngleis schiebt sich zur Oder vor. An der Station »Zäckericker Loose«, der letzten vor dem Grenzfluß, rascheln Tabakblätter im Wind. Nicht weit von hier streift Hella Imme durch ihr Tabakfeld. Mit flinken Handbewegungen bricht sie die lappengroßen, hellgrünen Blätter von den kräftigen Stengeln. »Nö, ick rauche nich«, sagt die Bäuerin und zeigt dabei auf ihre Handschuhe, die schwarz sind vom klebrigen Saft der Tabakpflanzen. So ungefähr, hatte ihr die »Frau Doktor« aus dem Dorf erzählt, sehe der Lungenkrebs aus. Aber vom Tabak wird Hella Imme nicht lassen.

Schon ihr Vater hatte jenseits der Oder eine ansehnliche Pflanzung. So hat auch sie ein paar Morgen Land hinter ihrem Haus für diese Leidenschaft reserviert. Als Hella Imme noch auf der LPG gearbeitet hat, war der Erlös aus dem Tabakanbau ein willkommenes Zubrot. Viele Bauern in der Umgebung haben lieber Schweine im eigenen Stall gemästet und auch Gurken und Tomaten gezogen. In Mangelzeiten war das ein einträgliches Geschäft. Jetzt sind die Preise zu gering und die Quelle versiegt. Gurken mußte Hella Imme früher schon für die Genossenschaft pflücken, da wollte sie nach Feierabend nichts mehr von wissen. Das ständige Bücken ging ihr aufs Kreuz. Der Tabak aber reift von unten nach oben und nur bei den wertvollen Sandblättern muß man auf dem Bauch über den Acker kriechen.

Heute, wo die LPG mit dem beziehungsreichen Namen »Insel« aufgelöst und auch der Mann auf das Altersübergangsgleis geschoben wurde, sind die Immes auf jeden zusätzlichen Pfennig angewiesen.

Dabei sind die Kilopreise gesunken. Früher gab es für eine Pflanze mit gut zwei Dutzend Blättern eine Mark. Heute wird es schwer, für die mehr als 2.000 Pflanzen 2.000 Mark herauszuschlagen. Im vorigen Jahr ist die Hälfte der Ernte verfault. Eine neue Sorte Zigarettenfülltabak, die höhere Erträge bringen sollte, wurde ausprobiert. Doch der hat die herkömmliche Trockenmethode — die Blätter werden dabei dicht gedrängt auf eine Eisennadel aufgespießt und an Strippen aufgehangen — nicht vertragen. Die feuchten Blätter klebten zusammen. Häßliche, schwarze Flecken brachten den Schaden ans Licht: Stickbrand. Was noch zu retten war, trocknete die Bäuerin in der guten Stube. Heute zieht Hella Imme Blatt für Blatt auf eine Schnur auf. Doch Geduld hat der Tabak schon immer gebraucht.

Das ist es auch, warum der Tabakspezialist Leupelt aus dem benachbarten Altreetz seine Lieblingsmarke »Virginia« aufgeben muß. Von Juli an können nur einmal in der Woche zwei bis drei Blatt von jeder Pflanze abgenommen werden. Erst nach gut drei Monaten ist die Ernte eingebracht. Der Aufwand lohnt nicht, denn die Böden im Oderbruch sind zu schwer und wechselhaft. Der Tabak wuchert zum Urwald, aber die Blätter bekommen nicht die richtige Reife. Nur eine hellgelbe, leicht bräunliche Färbung zeigt nach der Trocknung höchste Qualität an. Die erreichen die Tabakbauern in traditionellen Anbaugebieten Westdeutschlands bei 90 Prozent der Ernte — für Leupelt ein Traum. Den Tabakanbau hat er von der Pike auf gelernt. Zuletzt ist er als Anbauberater und Aufkäufer der Schwedter Tabakfabrik übers Land gezogen. Doch auch in Schwedt, wo Qualitätstabak fermentiert und für die Zigarrenindustrie vorbereitet wurde, hat man sich vom Tabak verabschiedet.

In Zukunft wird Leupelt als Einzelbauer auf 350 Hektar Pachtland Rüben und Getreide pflanzen. Die Zeit des Tabaks ist im Oderbruch abgelaufen. Irina Grabowski