taz statt Projekt

■ Ein Gespenst geht um in der Republik — ein Frühstück ohne taz? Keine Sorge. Aber richtig ist: Im 13. Jahr ihres Erscheinens sammelt die taz die Kräfte für einen neuen Start. Sanierung steht an.

Vor gut 13 Jahren kam in der linken Szene der Republik eine graublaue Broschüre in Umlauf. Nicht mehr für den Volkskampf-in-soundso oder die tiefere Wahrheit der Proletarier aller Länder unter der roten Fahne wurde damit geworben, sondern für das „projekt tageszeitung“: ein paar Dutzend Seiten — im Mattglanzumschlag — voller Ideen, Skizzen und Vorsätze zur Gründung einer linksradikalen Zeitung. Alle, die von der Branche etwas verstanden, winkten ab — die Neugründung einer Tageszeitung, so etwas war auf dem engen Markt nicht möglich. Schon gar nicht ohne Kapital, ohne Kompetenz, im „selbstverwalteten Betrieb“. Die Fachleute mögen recht gehabt haben: Mit Kapital und Kompetenz wäre die Neugründung vielleicht nicht über das erste Jahr hinaus gekommen. Aber die Idee des Alternativbetriebs — die war genau das, was die taz möglich machte. „Anders als alle anderen“, der spätere Slogan für die Zeitung, galt von Anfang an gleichermaßen für den Zeitungsbetrieb.

Ist die Geschichte der taz unter diesem Licht betrachtet etwas anderes als eine Erfolgsstory? Das Blatt erscheint jetzt im 13. Jahr jeden Tag, 200 Leute arbeiten unterdessen für die taz, die Auflage schwankt im letzten Jahrzehnt des Jahrtausends irgendwo zwischen 70.000 und 80.000 verkauften Exemplaren, das Unternehmen weist einen Umsatz von 26 Millionenn Mark aus, der Schriftzug tageszeitung auf zwei wunderschönen Bauten im früheren Berliner Zeitungsviertel an der Friedrichstraße. Und dann so etwas...

Die Deutsche Presseagentur schickte letzte Woche die Meldung über die Ticker: „taz vor einschneidenden Veränderungen“, und wenige Stunden später liefen in der Kochstraße die Telefone heiß. Die KollegInnen zeigten sich besorgt (das Ende der Alternative?) und etwas desorientiert: Da schrieb der eine, die Hälfte aller MitarbeiterInnen flöge raus und der andere wußte gar zu vermelden, Springer selbst, Verlagsnachbar in der Kochstraße, werde nun die Produktion der taz übernehmen. Falsch. Aber dennoch: Was ist los?

Vom Projekt zurück zur Zeitung — so könnte man das Motto der taz- Diskussionen dieser Monate umschreiben. War das alternative Projekt Ende der siebziger Jahre der Geburtshelfer der taz, so droht die alternative Struktur der taz-Unternehmen Anfang der neunziger Jahre, zu ihrem Grab zu werden. Die taz hat immer über ihre Verhältnisse gelebt. Nicht die ökonomischen Möglichkeiten bestimmten das Machbare, sondern der Wunsch war in der taz der Maßstab der Ökonomie. Die Zeche haben wir ebenfalls selbst bezahlt: Manche nennen es nur noch Selbstausbeutung, andere verbinden mit der Zahl von 1.550 D-Mark immer noch das nette Wort Einheitslohn. Und mancher verbindet gar nichts mehr damit: Etliche von denen, die die linke Geschichte dieser Zeitung entscheidend mitgeprägt haben, werden jetzt anderswo angemessen für ihre Arbeit bezahlt. Wir konnten ihnen keine Angebote mehr machen, um sie zu halten.

Ja, und die alternativen Arbeitsstrukturen? Es gibt tatsächlich JournalistInnen in dieser Redaktion, die sich nicht mehr mit dem Dreck, dem Klopapier oder den Finanzierungsmodalitäten befassen wollen. Sie möchten einfach ihrem Job nachgehen: schreiben! Und es gibt TechnikerInnen in der taz, die wirklich nicht die gleichen Diskussionen, die zu irgendeiner hübschen Fünf-Stellen- Ausgabe geführt haben, zum vierten Mal wiederholen wollen. Selbstverwaltung ist nicht das Problem der Teilhabe an Entscheidungen — Selbstverwaltung wird zum Problem bei der Durchsetzung und Einhaltung von Entscheidungen. Reibungsverluste nennt man das im entsprechenden Jargon, und es braucht nicht viel Phantasie, um den in materielle Verluste umzurechnen.

In Berlin fehlt jetzt die Mauer. Dafür gibt es in der Stadt tagtäglich 16 Zeitungen am Kiosk. Darunter zwar manchen zivilisatorischen Rückschritt, den dennoch Abertausende super finden — aber alles in allem eine spannendere Auswahl an Druckerschwärze als sonstwo in der Republik. Und in Berlin hatte die taz seit jeher ihre Basis, auch ihre finanzielle. So hat nicht nur der Fall der Mauer die Koordinatensysteme für den Blick auf die Wirklichkeit verändert. Auch Konkurrenz schärft den Blick (auch für die eigenen Mauern).

Moral der Geschichte: Unsere Auflage steigt nicht, die Kosten fallen nicht, die Anzeigen reichen nicht. Ergebnis: Unser wirtschaftlicher Bewegungsspielraum reicht gerade noch für eine gründliche Neubesinnung, im Jargon: für Sanierung. Das ist es, was die taz vor hat. Der Vorstand des Vereins der Freunde der alternativen Tageszeitung (hinter diesem freundlichen Namen verbirgt sich der Besitzer der taz: wir, die wir hier arbeiten) hat zusammen mit Geschäftsführung und Redaktionsleitung eine ganze Liste von Maßnahmen erarbeitet, um das Unternehmen taz unter betriebswirtschaftliche Kriterien zu zwingen, und so die Zeitung taz zu erhalten. Die Notwendigkeit der Sanierung ist unter den rund 200 Leuten des Alternativunternehmens nicht umstritten; auch über die ersten Schritte sind sich die allermeisten von uns einig. Aber bei allem Hang zur Normalität (in Sachen Unternehmensstruktur) hat sich doch ein einfaches Bewußtsein erhalten: Die Eigentumsfrage ist die Machtfrage.

Sanierung heißt auch für die taz Kostensenkung und zugleich die Suche nach Mitteln, um die Gesundheitsdiät nicht zum Hungertod werden zu lassen. Dazu werden wir das Management der taz-Unternehmen ausbauen und die Redaktionsspitze verstärken. Wir werden zugleich etwas erweitern, das die jüngeren Freunde der betrieblichen Normalität als Hierarchie und unsere Köpfe mit direkter Anbindung an die 68er Zeit als Stärkung der funktionalen Autorität bezeichnen. Ein weiteres Stichwort: die Lohndifferenzierung, Lieblingskuh unserer wohlmeinenden KritikerInnen in anderen Medien. In der taz selbst macht sich zunehmend eine ganz und gar unideologische Betrachtungsweise der Lohnfrage breit: Während für eine 23jährige Studentin die 1.550 Mark im Monat ausreichen mögen, um ein halbes Jahr in der Produktion nach den Zielen der eigenen Existenz zu forschen, so gilt das für den 53jährigen Spezialisten für den gesamten Osten Europas etwas weniger. Nicht die taz leistet sich ihren Spezialisten, der leistet sich die taz. Eine Zeit lang. Aber: Unsere Mittel reichen nicht aus, um allen im Haus den gleichen, deutlich höheren Lohn zu zahlen. Die Folge: Zwang zur Differenzierung.

Unter der Überschrift Kostensenkung sind wir dabei, alle kleinen und großen Kostenstellen zu durchforsten, Material- wie Vertriebskosten, Druck- wie Personalkosten. Ein Ergebnis zeichnet sich dabei deutlich ab: Wir werden aus der Sanierung mit weniger tazlerInnen herauskommen, als heute auf der Lohnliste stehen. Wieviele genau gehen müssen, das werden die nächsten Wochen zeigen. Die Meldungen über den möglichen Rausschmiß von einem Drittel aller tazlerInnen zeigen aber deutlich genug, daß es uns auch hier ernst ist. Überlegungen um einen Sozialplan sind auch kein Spaß.

Am letzten Wochenende im September beginnt das Treffen aller Eigentümer der taz, die Vereinsversammlung. Hier wird es für die Sanierung grünes Licht geben. Es bleibt die Eigentumsfrage. Bleibt der bisherige Verein Eigentümer der taz, oder erfordert die (wirtschaftliche) Bilanz dieser Jahre nicht einen klaren Schnitt und die Gründung eines neuen taz-Unternehmens? Die Gründung einer Mitarbeitergesellschaft mit klaren Kompetenzen und Grenzen — die sich aber auch als Angebot versteht für Interessenten, die in die Zukunft der taz investieren wollen? Diese beiden Positionen, besetzt von der Geschäftsführung der taz auf der einen Seite und auf der anderen von der Mehrheit des gewählten Vereinsvorstands, stehen zur Wahl.

Die ganze Operation Wirtschaftlichkeit hat ein Ziel: die Zeitung taz mit ihrer linken Geschichte zu erhalten und auszubauen. Sicher, dabei gehen die meisten RedakteurInnen dieser Zeitung davon aus, daß die taz weder wegen des alternativen Gebarens bei der Führung ihrer Geschäfte noch wegen des Leidensdrucks gekauft wird, den man mit der 1.550-Mark-Marge assoziieren mag, sondern weil sie eine kritische, respektlose, unabhängige Zeitung ist. Das soll so bleiben. Andreas Rostek