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Untergrund-Politik

■ Schneewittchen, Nr. 1, der Dritte Mann und Schäuble

Bonn (taz) — Noch ist die Frage nicht geklärt, welchen Kuhhandel höchste Bonner Regierungsvertreter mit dem DDR-Agenten Schalck-Golodkowski nach dessen Flucht in den Westen ausheckten. Schon tauchen in den Akten des Schalck-Untersuchungsausschusses Hinweise darauf auf, daß Bonner Polit-Größen mit Honeckers Goldfinger schon vor dessen Übertritt Zukunftspläne schmiedeten. So findet sich bei den Akten ein Vermerk über eine Besprechung im Bonner Kanzleramt am 28. Februar 1990. Es war jenes dubiose Meeting, bei dem ein vierköpfiger BND-Trupp den Kanzleramtsminister und Geheimdienst-Aufseher Stavenhagen über die „Operation Schneewittchen“ ins Bild setzte, ohne daß dieser etwas von falschen Pässen mitbekommen haben will. Gemäß Protokoll machte dabei ein BND-Beamter darauf aufmerksam, daß „S (S = Schneewittchen = Schalck, d. Red.) über gute Verbindungen zu Personen der Bonner Politikszene“ verfügt. Als Beispiel wurde Innenminister Schäuble genannt. Zur Verwunderung von Staatsminister Stavenhagen erklärte AL 1 (= Deckname eines BNDlers), daß „S seinen Schritt, in die Bundesrepublik zu wechseln, mit Politikern in der Bundesrepublik vorher besprochen habe und dabei die Zusicherung von Hilfestellung erhalten haben soll“. Was wußte Schäuble?

An die James-Bond-Spielchen erinnern dagegen weitere Aufzeichnungen über die Liaison Strauß-Schalck. Ganz agentenmäßig verpaßten sie in ihren Briefen denn auch ost- und westdeutschen Politikern Decknamen: Für Schalck war sein Honecker naturgemäß die „Nr. 1“. Da Strauß sich selbst als Nr. 1 wähnte und keine Nr. 2 neben sich duldete, hieß der damalige Kanzleramtschef Jenninger „der Dritte Mann“, Kohl folglich schlicht der „Chef vom Dritten Mann“. Hinter dem Decknamen „der Graf“ verbarg sich — unlösbares Rätsel — Wirtschaftsminister Lambsdorff. Sich selbst versteckten die beiden Brieffreunde hinter „Gesprächspartner“, abgekürzt „GP“, oder „lieber GP“.

Neben konspirativer Weltpolitik ging es dabei oft ums schlichte Geschäft. Im Mai 1988 deutet Strauß seinem „GP“ an, daß Airbus „nochmals Nachlaß gewährt“. FJS war damals Aufsichtsratsvorsitzender des europäischen Airbuskonsortiums. Die DDR-Interflug erhielt als erstes sozialistisches Land drei Airbus-Flieger. thosch

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