Wer profitiert vom Tod des Hanno Klein?

■ Der letzte Tag im Leben von Hanno Klein/ Woher kamen die Attentäter?/ Nach dem gewaltsamen Tod des Investorenbetreuers wurden etliche Entscheidungen anders gefällt, als er es gewollt hätte/ Berliner Investoren nun wieder besser im Rennen/ Zweiter Teil des Reports von Eva Schweitzer

Gestern begann unser Bericht über den Mord an dem Investorenbetreuer des Senats, Hanno Klein. Wir berichteten über dessen Tätigkeit als graue Eminenz in Ost-Berlin, über die Auseinandersetzung um die Baudirektion, die Vergabe der Friedrichstadt- Passage und das geplante Horsham- Projekt an der Spree. Heute fahren wir fort mit den Ermittlungen des Staatsschutzes.

Der Tag, an dem Hanno Klein starb — Mittwoch, der 12. Juni 1991 — begann für ihn so früh wie gewohnt. Um 8.00 Uhr traf er sich in seinem Büro in der Behrenstraße mit Vertretern von Philipp Holzmann wegen eines geplanten Gewerbezentrums am S-Bahnhof Frankfurter Allee. Um 9.30 Uhr bereitete er sich auf die nächste Sitzung des KOAI am 26. Juni vor. Um 12.00 traf sich Hanno Klein mit Klingbeil-Geschäftsführer Guttmann wegen eines geplanten Bürohauses in Prenzlauer Berg, danach mit einem Vertreter eines Computerdienstes und dem der New Yorker American Continental Properties.

Zwischen 15.00 und 17.00 Uhr sortierte Klein seine Post. Zwischendurch telefonierte er mit seiner Lebensgefährtin Doris H. und mit mehreren Journalisten — an den Maulkorb des Bausenators hielt er sich selbstverständlich nicht — unter anderem auch wegen des Horsham- Projektes. »Ich verstehe gar nicht, warum man diesen Kanadiern überall Mißtrauen entgegenbringt, die geben sich so viel Mühe«, klagte er. Um 17.00 war ein Termin mit Marc Palmer angesetzt.

Um 19.00 Uhr eröffnete Doris H. eine Ausstellung über Lissabon in der Berlinischen Galerie im Gropius- Bau. Hanno Klein kam gut gelaunt dazu, trank ein wenig Wein und verließ die Ausstellung mit Doris H. und einem befreundeten Architekten, um in ein Restaurant zu gehen. Erst nach 22.00 Uhr kamen Klein und seine Freundin zu Hause in der Pariser Straße an. In der Tür steckte ein wattierter Umschlag mit dem — gefälschten — Absender: »Büchergilde Gutenberg« und dem — möglicherweise auch gefälschten — Poststempel vom Abend vorher, Postamt 11 in der Möckernstraße. Klein nahm den Umschlag mit in sein Arbeitszimmer. Doris H., die von der Ausstellungseröffnung müde war, legte sich in dem Schlafzimmer am anderen Ende der riesigen Wohnung hin und schlief ein.

Hanno Klein war stark kurzsichtig, aber zu eitel, eine Brille zu tragen. Offenbar hatte er sie auch jetzt nicht zur Hand und hielt sich deshalb den Umschlag dicht vor das Gesicht, als er ihn öffnete. Die Bombe explodierte. Metallsplitter drangen durch seine Augen in sein Gehirn, er fiel zu Boden und war sofort tot.

Der Staatsschutz tappt im Dunkeln

Der polizeiliche Staatsschutz vermutete als erstes, daß linke Gruppen hinter dem Anschlag steckten. Eine Woche zuvor waren die Worte, die Klein im 'Spiegel‘ geäußert hatte, auf einem Flugblatt autonomer Gruppen aufgetaucht. Auch im privaten Bereich wurde ermittelt: Hanno Kleins Frau Uta — von der er seit drei Jahren getrennt lebte — wurde stundenlang verhört. Die Polizei sprach mit mehreren Verwandten und mit Kleins vier Kindern. Die Arbeitsstätte von Doris H. wurde durchsucht. Beide Frauen halten es für absurd, daß die andere den Mord begangen haben soll.

Der einzig konkrete Hinweis bis heute auf einen möglichen Täter weist in die Richtung Investoren: Eine Berliner Tageszeitung bekam am Tag nach dem Mord einen Anruf eines zuverlässigen Informanten aus der Baubranche. »Auf ein Bekennerschreiben von Terroristen braucht ihr nicht zu warten, das war jemand aus der Branche«, hieß es. Auch unter Investoren — die übereinander sehr gut Bescheid wissen — wucherten solche Gerüchte. »Sicher war das einer von uns. Klein störte, weil er ständig ausländische Firmen bevorzugte«, sagte ein Baubetreuer, der nicht genannt werden möchte.

Immerhin war dies nicht der erste Mordversuch in Berlin aus Kreisen der Baumafia: 1985 versichte der Baulöwe Christoph Schmidt-Salzmann seinen Partner, den Immobilienmakler Günther Schmidt durch einen professionellen Killer umbringen zu lassen, ein Fall, der als »Schüsse in der Tiefgarage« durch die Presse ging. Und schließlich mußte man Hanno Klein im Zweifelsfall so beiseite räumen. Denn er ließ sich weder von Drohungen beeindrucken, etwa in der Art, man würde sich über ihn bei Bausenator Nagel beschweren, noch ließ er sich bestechen — obwohl auch das nachweislich versucht wurde. Das hatte Klein nicht nötig, denn er hatte von seiner Mutter geerbt. »Geld interessierte ihn nicht, wie die Stadt gestaltet wurde, war ihm wichtig«, sagt Doris H.

Die Ermittler des Staatsschutzes durchsuchten auch Kleins Büro, waren dort allerdings wenig erfolgreich. »Die haben die vielen Akten mit staunenden Augen angeguckt, aber fast nichts mitgenommen«, erzählt einer von Kleins Mitarbeitern. »Das ist ja auch nicht einfach: Die Akten sind auf drei Dienststellen verteilt, in der Behren-, der Joachimsthaler und der Württembergischen Straße und die Hälfte davon ist ständig auf dem Postweg. Und den Überblick, wo was steht, hatte nur Hanno Klein.« Man habe der Kripo eine Liste mit 500 Investoren angeboten, »die können Sie gerne durchtelefonieren, haben wir denen gesagt«. Ob das getan wurde, darf man bezweifeln — die taz stieß bei ihren Recherchen jedenfalls auf keinen Investor, mit dem die Kripo gesprochen hatte.

Von Mitarbeitern des Staatsschutzes war zu hören, man habe festgestellt, daß es um mehrere hundert Bauprojekte gehe. Diese alle daraufhin durchzuprüfen, wo, welcher Investor einen Knick in seiner Tätigkeit erlitten habe, sei viel zu viel Arbeit. Die Abteilung Wirtschaftskriminalität der Kriminalpolizei hat jedenfalls die Ermittlungen im Fall Klein schon nach wenigen Tagen eingestellt.

Womöglich hängt der Todeszeitpunkt — 12. Juni — mit dem Motiv des Mörders zusammen. Klein hatte für den 14. Juni einen Flug nach Paris gebucht. Er wollte dort wegen des Hochhauses am Prenzlauer Berg, dem »Tour de l'Infini«, mit Jean Nouvel reden und mit der Firma Amery. Er hatte seit zwei Wochen ein Angebot von Amery in der Tasche, die ihn als Geschäftsführer einer eigens für ihn zu gründenden Firma einstellen wollten. Er sollte eine Gewinnbeteiligung von 20 Prozent bekommen und ein »seiner Stellung angemessenes Gehalt«. Die Wirtschaftsförderung Berlin — die in der Todeswoche über seine Bewerbung entschieden hätte — hatte sich gegen ihn entschieden.

Möglicherweise hängt der Todestermin aber auch mit dem Horsham- Projekt an der Spree zusammen. Am Abend vor seinem Tod gab es eine Besprechung deswegen. Teilnehmen sollten daran übrigens auch Franz-Josef Glotzbach, der ehemalige Staatssekretär des DDR-Bauministeriums, der inzwischen bei der Treuhand-Niederlassung Berlin für Immobilien zuständig ist. Zwei Tage später sollte das Horsham-Projekt erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden, dieser Termin fiel wegen Hanno Kleins Tod aus. Möglicherweise sollte Klein aber auch vor der nächsten Sitzung des KOIA kaltgestellt werden. Dort sollte es um einige Projekte an der Friedrichstraße gehen — vor allem aber sollte Klein die überarbeitete Vorlage zu Horsham anschließend zur Diskussion stellen. Auch diese KOAI-Sitzung fiel nach Kleins Tod aus.

Eine Woche später: Ein »Bekennerbrief«

Erst eine knappe Woche nach Kleins Tod wurde ein Bekennerbrief an 'dpa‘ gesandt, den selbst der Staatsschutz zunächst als »nicht echt« einstufte. Auf Kleins Tätigkeit wurde nicht detailliert eingegangen — untypisch für linksterroristische Gruppen — und es wurde behauptet, Metallsplitter seien der Bombe nicht beigemengt gewesen. Dies stimmte jedoch nicht, wie es Staatsschutzchef Dieter Piete bestätigt. Unterschrieben war der Brief mit »für den Kommunismus«.

Berlins Autonome weisen die Tat empört von sich. »Wir haben den Namen Klein zum ersten Mal gehört, als er ermordet wurde«, erzählt die alteingesessene Kreuzberger Autonome Gabi Ziegler (Name von der Red. geändert). Die 'Interim‘, ein Forum der autonomen Gruppen Berlins, mehr eine Flugblattsammlung denn eine Zeitung, hat den Bekennerbrief nicht bekommen. In der 'Interim‘ wurde auf den Anschlag kritisch reagiert. Den Attentätern wurde entgegengehalten, sie hätten Unbekannte — etwa die Lebensgefährtin — gefährdet. Eine »Gruppe aus dem Traditionszusammenhang der Revolutionären Zellen« warf den Mördern Kaltschnäuzigkeit und Unfähigkeit vor. In der nächsten Nummer der 'Interim‘ interpretierte eine Gruppe, die ebenfalls mit »für den Kommunismus« zeichnete, den Stil des Bekennerbriefes und kam zu dem Schluß: »Für uns ist in keiner Weise erwiesen, daß der Mord an Hanno Klein aus unserem Spektrum kam.« Diese Stellungnahme darf man durchaus ernst nehmen, denn zwei Brandanschläge und die Schüsse der RAF auf die US-Botschaft in Bonn wurden dort nicht nur gerechtfertigt, sondern auch dem linken Spektrum zugeordnet.

Ausländische Investoren wurden ausgebootet

Nach Hanno Kleins Tod hat sich nun einiges anders entschieden, als er das gewollt hätte. Von Jean Nouvels »Tour de l'Infini« ist nun keine Rede mehr, dafür sind einige West-Investoren jetzt besser im Geschäft als vorher. Das liegt unter anderem daran, daß sich die Rechtslage geändert hat, was die Vergabe von Grundstücken angeht: Der Berliner Rechtsanwalt Karlheinz Knauthe, dessen Kanzlei eine Reihe von Grundstücksinteressenten betreut, diktierte dem Regierenden Bürgermeister Diepgen Anfang Juli eine Senatsvorlage in die Feder, die die Rechte von Alt- Eigentümern stärkt. Alt-Eigentümer, die einen Investor ihrer Wahl anschleppen, können sich so an den Senatswettbewerben vorbeimogeln. Einer der ersten Investoren, die davon profitierten, war Roland Ernst. Nachdem er sich die Rechte an einem 2.000 Quadratmeter großen Grundstück der Friedrichstadt-Passage gesichert hatte, gelang es ihm, Lafayette als Investor auszubooten. Er baut nun selbst und Lafayette wird Mieter.

Auch das Horsham-Projekt ist inzwischen mit seinem Befürworter Klein gestorben. »Wesentliche Bedenken gegen das von Horsham vorgeschlagene Konzept« machte der KOAI-Ausschuß am 18. Juli, der ersten Sitzung nach Hanno Kleins Tod, aus. Die Voraussetzungen für Horsham seien nicht mehr gegeben. Horsham nehme zu wenig Rücksicht auf die gewachsene historische Struktur. Und: Die Treuhand-Niederlassung Berlin habe die »erbetenen konkreten bearbeitungsfähigen Konzeptionen« für den Verkauf von Betrieben an Horsham nicht abgegeben, sondern statt dessen eine Reihe von Grundstücken anderweitig verkauft. Dazu gehört auch das Gelände von A.L.E.X.-Bau: Das wird der Branchenriese Philipp Holzmann demnächst von der Treuhand erwerben.

Roland Ernst, ein stämmiger, älterer, ruhiger Mann mit süddeutschem Akzent, glaubt übrigens nicht, daß der Anschlag auf Hanno Klein ein Werk linker Terroristen war. Er glaubt allerdings auch nicht an einen gezielten Mord. »Diese Briefbombe sollte möglicherweise nur eine Warnung sein«, sagt er. »Und der Bekennerbrief war womöglich eine absichtlich gelegte falsche Spur.« Er wolle natürlich nicht herumspekulieren. »Aber in der Bauindustrie wird mit harten Bandagen gekämpft.« Einen Warnschuß kann sich auch der Staatsschutz vorstellen. Zumindest sei die Sprengstoffmenge nicht unbedingt tödlich berechnet gewesen. »Hätte er sich den Brief beim Öffnen nicht direkt unter die Nase gehalten, würde er wohl noch leben«, hieß es dort.

Daß der Anschlag eine Racheaktion eines Klein-Geschädigten — etwa aus den Reihen der Baudirektion — war, ist eher unwahrscheinlich. Dazu ist das zu lange her. Womöglich befürchten aber andere Grundstücksnutzer im Ostteil der Stadt eine ähnliche Behandlung wie die früheren Hätschelkinder der SED. Denn auf vielen Blöcken, die Hanno Klein vergeben wollte, befanden sich teils »normale« Ost-Betriebe, teils aber die Firmensitze von Stasi-Gründungen oder Stasi-Liegenschaften. Beispielsweise die Blöcke, auf denen Horsham bauen sollte: Der Stasi gehörte die dortige Köpenicker Straße 57. Besitzer eines zweiten Grundstücks auf dem Block sind offiziell die Wasserwerke, tatsächlich wurde die Fläche an der Spree von der Stasi genutzt.

Alte Stasi-Seilschaften und neue Connections

Die Frage, ob hinter dem Mord an Klein womöglich ehemalige Stasi- Mitarbeiter stecken, kann natürlich A.L.E.X.-Bau-Geschäftsführer Janka nicht beantworten. »Aber man braucht sich nicht zu wundern, daß Stasi-Leute Banden bilden, wenn die nicht einmal mehr Straßenkehrer sein dürfen«, sagt er. Für diese Theorie spräche immerhin, daß die Stasi nach wie vor die technischen Möglichkeiten hätte, eine Bombe zu basteln. Zudem sind schon ähnliche Fälle bekannt geworden: So wurde im Februar 1982 der professionelle Fluchthelfer Kai Mierendorff in Bad Tölz schwer verletzt, als er eine getarnte Briefbombe öffnete, in der ebenfalls Metallsplitter eingearbeitet waren. Mierendorff vermutet hinter dem Anschlag — der nie aufgeklärt wurde — die Stasi.

Neben all den hier aufgeführten Grundstücksgeschäften und Unternehmern gibt es noch Dutzende, mit denen Hanno Klein zu tun hatte. Und vieles davon wird undurchschaubar bleiben. Denn inzwischen sind Ost- und West-Berlin im Baubereich schon erfreulich weit zusammengewachsen. West-Unternehmen kaufen sich zunehmend in Bau-Firmen aus der Ex-DDR ein. Und so manche westliche Immobilienfirma bildet ein unübersichtliches Konglomerat mit östlichen, SED-nahen Firmen, deren Geschäftsführer ehemalige Stasi-Offiziere sind. Das fängt an mit der Immobilienfirma WIC, einer Gründung der SED-nahen »Deutsch- sowjetischen Freundschaft« (DSF), die sich beim Kampf um Immobilien, die sie als die ihren betrachtet, sogar von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses vertreten läßt, nämlich von Dr. Klaus Finkelnburg und Dr. Klaus Riebschläger. Und es geht weiter mit der »Fundament«, inzwischen die Grundstücksholding der PDS, die mit westlichen Immobiliengesellschaften kooperiert.

Ob nun Hanno Klein einem Geschäft dieser Art in die Quere kam und eine Warnung hätte bekommen sollen, die zu heftig losging — das aufzuklären wäre eigentlich Sache von Staatsschutz und Staatsanwaltschaft. Aber vielleicht gibt es ja kein richtig brennendes Interesse daran, solche Zusammenhänge aufzuklären, weil damit zu viel anderes ans Tageslicht gelangte. Der Staatsschutz jedenfalls hat sich entschlossen, den Bekennerbrief — trotz leiser Zweifel — nun doch als echt zu betrachten. Die Sonderkommission ist aufgelöst. Die Ermittlungen sind — bis vielleicht doch noch ein Hinweis eintrifft — abgeschlossen.