Die Rache der dreizehn Eisbären

Ballonfahren ist heutzutage nicht gerade billig und erfordert vor dem Abflug vor allem viel Geduld Die ersten Passagiere dieser Erfindung der Brüder Mongolfier waren absolut hilflose Versuchstiere  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Ludwigshafen (taz) — Wo Ringer, Gewichtheber und andere medienbenachteiligte Sportlerinnen und Sportler in Euphorie ausbrechen, schotten sich Ballonfahrer erstmal ab. Ein elitärer Touch wird den „Ballönern“ nachgesagt, aber der Hauptgrund für die Zurückhaltung ist ein ganz praktischer: Wartelisten von über einem halben Jahr sind für interessierte Mitfahrer (fast) die Regel. Viele Ballonfahrschulen stöhnen ob der zu zahlreichen Anfragen.

In diesem Jahr jährte sich die Erfindung des Freiballons zum 208. Mal. Die französischen Brüder Jaques-Etienne und Joseph-Michel Montgolfier füllten einst Papiersäcke mit Rauch und ließen sie aufsteigen. Ihr erster Freiballon, der am 5. Juni 1783 in Annonay bei Lyon startete, war aus Leinwand und mit einem Hanfnetz überzogen. Die Luft im offenen Ballon wurde durch glühende Holzkohle erwärmt. Menschliche Korbinsassen gab es keine. Stattdessen mußten wehrlose Haustiere mangels Beistand militanter Tierschützer in den Korb, kamen aber prompt heil wieder runter.

Ballonfahrerinnen und -fahrer der ersten Stunde machten da zum Teil weit schlechtere Erfahrungen. Ganze Romane handeln von dramatischen Katastrophenszenarien abenteuerlustiger Ballonbesatzungen. Die erste Frau überlebte ihre Ballonfahrt, aber ein Jahr später explodierte der kombinierte Gas- und Heißluftballon „Rozière“ des Franzosen Pilatre de Rozier beim Versuch, den Ärmelkanal zu überqueren, schon kurz nach dem Start in Boulogne-sur- Mer. Joseph Crocé, Théodore Sivel und Gaston Tissandier wagten sich neunzig Jahre später mit „Le Zenith“ in 8.000 Meter Höhe. Crocé und Sivel starben trotz ihrer Sauserstoffgeräte, Tissandier war fortan taub.

1897 machten sich August Andrée, Niels Strindberg und Knut Fraenkel auf den Weg zum Nordpol. Nach drei Tagen Fahrt mußte der Ballon notlanden, er war von einer dicken Eisschicht überzogen. Die Forscher gingen zu Fuß weiter, ernährten sich vom wohlschmeckenden Fleisch dreizehn erlegter Eisbären und starben qualvoll an einer Trichinenvergiftung. Erst 33 Jahre später fand man ihre tiefgekühlten Leichen und stellte fachkundig die Todesursache fest.

Bei der Gordon-Bennett-Wettfahrt 1914 legten die Herren Haase und Nicolai aus Berlin 3.047 Kilometer in 47 Stunden zurück, landeten aber verbotenerweise in Rußland und verbrachten drei schlimme Monate in einem Knast. 1923, beim gleichen Wettbewerb, starteten in Brüssel 34 Ballonfahrer bei Sturm, Regen und Gewitter — fünf kamen ums Leben.

Genug der Abschreckung! Zwar ereignen sich wie bei allen Verkehrsmitteln auch beim Ballonfahren hin und wieder tödliche Unfälle, aber meist sind Pilotenfehler oder die unglückliche Verkettung von Widrigkeiten der Grund. Spektakulärer Fall letztes Jahr in des Kanzlers Heimatstadt: Ein zur Bundestagswahl von der FDP gecharteter und mit dem Parteilogo versehener Ballon stieg unter Mißachtung thermischer Gesetze nachmittags auf. Er streifte einen Turm, riß sich die Hülle auf und landete in desolatem Zustand auf dem Flachdach eines Sexkinos.

Solch Unbill kann „normalen“ Passagieren in Heißluftballonen nicht widerfahren. Gestartet wird auf Plätzen ohne Stromfreilandleitungen und Weidezäunen, zeitig morgens oder am frühen Abend. Zuvor muß der Ballonmeister ran. Die Luft im Ballon wird durch einen Gasbrenner mit 3.000 PS erhitzt. Ein 3.000 Kubikmeter großer Ballon mißt circa 22 Meter in der Hüllenmitte und 28 Meter von der Gondel bis zum Top. Zunächst wird die Hülle auf dem Boden ausgelegt, etwas auseinandergezogen und mit dem Korb durch Karabinerhaken verbunden. Mit einem Kaltluftgebläse füllt man den Ballon zu dreiviertel seines Volumens. Dann wird durch den Brenner die Luft erhitzt, und der Ballon richtet sich auf zu seiner imposanten Größe.

Jetzt dürfen die mutigen Passagiere einstiegen. Eine Fahrt dauert in der Regel zwischen eineinhalb und dreieinhalb Stunden, je nach Temperatur und Luftdichte. Während die einen im Korb (nichts für Agoraphobiker) die Aussicht genießen, bahnen sich am Boden die „Verfolger“ mühsam ihren Weg. Nach der Landung wird die leere Hülle zusammengelegt und mit Korb, Brenner und Ventilator im Hänger verstaut. Anschließend steigt das Landefest. Zeit für die Ballonfahrertaufe mit Feuer und Sekt. Der Adelsstand wartet auf den „Graf des Ozonlochs, beim sauren Abstieg in den siechen Hain“.

Ballonfahren ist aber auch ein sportlicher Wettstreit mit strahlenden Siegerinnen und traurigen Verlierern. Die interessanteste Disziplin ist das Fly-in. Hier muß der Pilot wegen der Windverhältnisse seinen Startplatz selbst errechnen, um das ihm vorgegebene Ziel zu finden. Aktueller Weltmeister ist der Deutsche Benedikt Haggeney. Und der eifrigste Ballonfahrer des Planeten soll in Gersthofen bei Augsburg residieren, Alfred Eckert. Der Aeronautiker hat ein Ballonmuseum und kann auf circa 1.000 Fahrten zurückblicken.

Für einen Ballon zahlt ein sponsorenloser Mensch circa 70.000 Mark. Die Pilotenausbildung kostet nochmal 10.000. Der Fahrpreis für Mitfahrer liegt bei den verschiedenen Ballonfahrschulen zwischen 250 und 350 Mark.