Vorwärts in die Achtziger

Noch bevor er einen Ton gesungen hat, hält er das Mikrofon dem Publikum entgegen, offensichtlich besorgt, es könne sich durch das, was folgt, nicht gemeint fühlen: Jim Kerr, (nur) Sänger der Simple Minds. Ein lauer Herbstabend in der offenen Waldbühne in Berlin.

Die Bühne könnte aus einer Götz-Friedrich-Inszenierung sein: ein angeschrägtes Ensemble von Gittern, das die Akteure nicht wirklich behindert, aber lähmt; der Keyboarder und der Synthie-Mann thronen auf erhöhten V-förmigen Podesten, der Gitarrist und der Bassist bilden, wie üblich, die Flügel der vorderen Linie, und Simple-Minds-Chef Jim Kerr hat den Laufsteg und weißes Licht, das seine weiße Weste, die in feiner Stickerei auf jeder Brustseite einen Pelikan zeigt, in korallenen Farben schillern läßt.

Das Programm von gut anderthalb Stunden verläuft ohne Überraschungen. Erstaunlich ist nur, daß die Stücke der letzten Platte in den ersten zwanzig Minuten abgefeiert werden. Dann folgt die Reise in die Vergangenheit, mit Höhepunkt East of Easter und anderen Stücken vom 1983er Album New Gold Dream. Schon im ersten Jahr, 1979, hatten sie ihren Stücken den letzten Nachhall schottischer Folklore ausgetrieben. Sie waren nie eine richtige New Wave Band — dazu fehlte die Geschwindigkeit — sondern Pathetiker des Rock, im Schlagzeug ein bißchen die Schwere von Led Zep und stimmlich nicht weit von Brian Ferry. So sind ihnen die Stadien zugefallen in einem Jahrzehnt, in dem das Vorzeigen von Engagement sehr gefragt war, verbunden mit einem unglücklichen, egoistischen Hedonismus. Kerr war der Richtige, um brachial auf die Tränendrüse zu drücken. Seine im Decrescendo leicht heisere Stimme hatte dieses Potential, eine vage Erinnerung an Soul. Er ist ein bißchen fett und schlaff geworden, der Jim Kerr. Das Doppelkinn zeichnet sich ab, und das schwarze Hemd unter der Pelikanweste ist wohl nicht ohne Grund weit über die Bluejeans gehängt, in deren Röhren noch immer schwarze Westernboots stecken. Aber er kann dieses Treten nicht mehr, was er mal konnte, aus der Hocke heraus, diesen theatralisierten Nahkampf. Wenn er auf einem Bein steht, schwankt er.

Das rote Licht kommt viel zu spät. Die Show, unter beweglichen Lichtträgern, ist über weite Strecken blau, kalt, fühllos und sehr, sehr laut. Erst gegen Ende hört man diesen glockigen Klang von Charles Burchills elektrischer Gitarre, in Ghost Dancing, einer der wenigen wirklich erregenden Kompositionen Kerrs. Er ist ein Charismatiker geblieben, aber daß er sich dem Publikum nun anbiedert, während er sich noch vor zwei Jahren wie ein vom Himmel Gekommener feiern ließ, ist ein böses Zeichen. Man will wieder freundlich sein, hat aber vergessen, wie es geht. Die Simple Minds sind eine Band für traumlose Träumer geworden, für verknöcherte Pärchen Ende zwanzig, die nichts mitbekommen haben von der instrumentalen und ethnischen Perestroika der populären Musik. Ulf Erdmann Ziegler

Simple-Minds-Tournee, wird fortgesetzt