Wenn die Slowaken wollen, so laßt sie gehen

Vor der Abstimmung über die Unabhängigkeit der Slowakei stellt man sich in Prag auf das Ende der Föderation ein/ Doch über die tatsächlichen Ziele der slowakischen Politiker kann nur spekuliert werden/ Mehrheit der Slowaken für Erhalt der CSFR  ■ Von Sabine Herre

Pavel Rychetsky, stellvertretender Ministerpräsident der Tschechosloslowakei, versuchte eindringlich zu werden: Er sei zutiefst davon überzeugt, daß es für die Bürger — egal ob sie im slowakischen Trnava oder im böhmischen Kolin leben — unwichtig sei, ob die Staatsbahn dem Bund oder den Ländern gehöre. Wichtig sei ihnen dagegen: ein annehmbarer Preis und pünktliche Züge...

Viel mehr Argumente für einen gemeinsamen Staat der Tschechen und Slowaken fielen jedoch auch diesem führenden Kopf der Bürgerbewegung nicht ein. Wenige Tage bevor das Parlament in Bratislava über die Unabhängigkeit der slowakischen Republik abstimmen soll, scheint man in Prag des Argumentierens müde geworden zu sein. Pausenlos hatte nicht nur die Föderal- sondern auch die tschechische Regierung auf die ökonomischen und internationalen Folgekosten einer Teilung hingewiesen. Nun schlägt dem politisch Reisenden auf den barocken Straßen und Plätzen der goldenen Stadt Galgenhumor entgegen: Besuchen Sie die Tschechoslowakei — solange es sie noch gibt! Und: Sollen sie — die Slowaken — doch endlich gehen, wir halten sie nicht auf.

Müde geworden sind die Tschechen jedoch auch des Spekulierens über die tatsächlichen Ziele der slowakischen Politiker. Auch nach den inzwischen nicht mehr zu zählenden Treffen der verschiedensten Organe, Parteien und Repräsentanten beider Republiken herrscht landauf landab über die Zukunft des Landes kaum mehr zu überbietende Verwirrung.

Denn während sich Tschechen und Slowaken in Gesprächen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stets irgendwann auf einen Kompromiß einigen konnten, wurde dieser wenig später vor der Presse — und damit natürlich in erster Linie mit Blick auf die Wähler — wieder in Frage gestellt. Vor der für Freitag erwarteten Abstimmung über eine unabhängige Slowakei und ihre Verfassung scheint daher nur soviel klar zu sein: Den eindeutigsten Standpunkt für eine unabhängige Slowakei ohne jede Einschränkung vertritt die slowakische Nationalpartei SNS. Position für eine Konföderation bezog nach langem Hin und Her inzwischen die „Bewegung für eine Demokratische Slowakei“ (HZDS) des ehemaligen slowakischen Premiers Vladimir Meciar. Er zählt auch zu den Unterzeichnern der Initiative. Gespalten ist die christdemokratische Bewegung von Ministerpräsident Jan Carnogursky: Ein Teil dürfte für eine Föderation, ein anderer für eine Konföderation eintreten.

Carnogursky selbst wird in der Presse stets nur als „Sternenkämpfer“ dargestellt: Spätestens für das Jahr 2000 strebt er eine Mitgliedschaft der Slowakei in den europäischen Gremien und dann eben auch einen Stern auf der blauen Europaflagge an. Aus Carnogurskys Staatsverständnis geht aber auch hervor, wie gering inzwischen die Aussichten auf eine Föderation geworden sind. Nach der Ansicht des überzeugten Katholiken müsse die slowakische Republik auf das „nationale Prinzip“ gegründet sein — Prag betont dagegen immer wieder, daß es einen Staat auf dem „bürgerlichen Prinzip“ aufbauen möchte.

Für die Verabschiedung einer „sauberen“ slowakischen Verfassung, aber gegen die Souveränitätserklärung dürfte sich die „Partei der demokratischen Linken“, die Nachfolgeorganisation der slowakischen Kommunisten aussprechen. Sie sehen eine „originale“ Souveränität der Republiken und wollen die Kompetenzen der Föderation weiter senken. Eindeutig gegen das Vorhaben der Initiative hat sich nur die Regierungspartei VPN ausgesprochen, doch auch sie wird ihre Abgeordneten nicht vollzählig bei der tschechoslowakischen Flagge halten können.

Während so „gewöhnlich gut informierte Kreise“ davon ausgehen, daß der Antrag der aus 35 Politikern und Künstlern verschiedenster politischer Richtungen bestehenden Initiative „Für eine selbständige Slowakei“ eine Mehrheit finden könnte, herrscht über seine Verfassungsmäßigkeit Zweifel. Besonders der stellvertretende Präsident der Prager Föderalversammlung, Zdenek Jicinsky, sowie die politischen Spitzen der Bürgerbewegung haben darauf hingewiesen, daß die Parlamente der Republiken nicht berechtigt sind, eine Verfassung anzunehmen, die die Souveränität dieser Republiken vorsieht. Der einzig verfassungsmäßige Weg zur Trennung des Staates ist ihrer Meinung nach ein Referendum.

Für die Einführung der Möglichkeit einer Volksabstimmung entschied sich die Prager Föderalversammlung im Juni dieses Jahres. Doch während nicht nur viele Politiker, sondern auch die Bevölkerung damals aufatmeten und annahmen, nun einen Weg zur Lösung der schwelenden Krise um den Fortbestand der Föderation gefunden zu haben, zog bereits wenige Wochen später Ernüchterung ein. Mehr als deutlich wurde inzwischen, daß die stärksten slowakischen Parteien ein solches Referendum ablehnen und ein entsprechendes Gesetz blockieren werden.

Die Verfechter einer slowakischen Unabhängigkeit wissen nämlich nur zu genau, daß die Mehrheit der Bevölkerung der östlichen Teilrepublik den Fortbestand der CSFR will. Auch die — angeblich — 30.000 Demonstranten, die am letzten Donnerstag in Bratislava ihr allseits bekanntes „Weg von Prag“ skandierten, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß lediglich 18 Prozent der Slowaken einen selbständigen Staat und ganze acht Prozent eine Konföderation wollen. 59 Prozent treten dagegen für den Fortbestand der Föderation ein.

Diesem Referendum, dessen Einleitung vor wenigen Tagen von den Abgeodneten der Bürgerbewegung beantragt wurde, will die slowakische Initiative nun zuvorkommen. Dennoch könnte ihr Vorhaben, die Ausrufung einer unabhängigen Slowakei, kurz vor dem Ziel noch scheitern.

Für diese neue Republik auf Europas Landkarte liegen nämlich bis jetzt acht verschiedene Verfassungsentwürfe vor, wobei mehr als fraglich ist, ob sich die beiden stärksten Parlamentsfraktionen, KDH und HZDS, in den nächsten Tagen auf eine Version werden einigen können. Denn obwohl bereits über Koalitionsverhandlungen zwischen der Oppositions- und der Regierungspartei gemunkelt wird, steht einem Bündnis ein großes Hindernis entgegen: Ihre beiden Spitzenpolitiker — Meciar und Carnogursky — mögen sich ganz und gar nicht. Neidet der erste dem zweiten seine verlorene Stellung als Premier, so ist der „Intellektuelle“ Carnogursky mißmutig ob der Gunst, die der „Populist“ Meciar bei der slowakischen Bevölkerung genießt.

Die tschechische Regierung bereitet sich inzwischen hinter verschlossenen Türen auf den „Tag danach“ vor. Verschiedene Krisenszenarios sollen entwickelt worden sein, Priorität, so verlautete aus den bekannten „Kreisen“, habe nun eine rasche Sicherstellung der Energielieferungen aus Bayern.