DDR machte radioaktive Tierversuche

Forscher wollten wissen, wann Schweine nach Atomunfall oder Atomkrieg geschlachtet werden müssen/ Landesregierung sitzt auf Nuklearabfall/ Geheime Forschungsstätte kaum bewacht  ■ Aus Storkow Dirk Wildt

Die DDR unternahm radioaktive Versuche an landwirtschaftlichen Nutztieren. In einem Wald im Land Brandenburg wurden mehrere Jahre lang Schweine und Ratten in einem geheimen und getarnten Bunker intensiver Strahlung von Kobalt 60 ausgesetzt. Mit Hilfe der Forschung wollte die DDR-Regierung erfahren, wie schnell nach einem Atomunfall oder taktischen Atomkrieg Schweine und Kühe geschlachtet werden müssen, um sie noch verzehren zu können.

Mit der Vereinigung beider deutscher Staaten im vergangenen Jahr sind die Tierversuche eingestellt worden. Doch die Kobalt-Strahlenquellen sind in der Versuchsanlage bei Kehrigk, etwa 60 Kilometer südöstlich von Berlin, noch immer vorhanden, und — die Anlage ist nur unzureichend vor dem Eindringen Unbefugter geschützt.

Die Anlage gehört dem Institut für angewandte Tierhygiene in Eberswalde. Das Institut war von der Nationalen Zivilverteidigung beauftragt worden, Tierversuche mit radioaktiver Strahlung durchzuführen. 1986, als der Tschernobyl-Reaktor durchbrannte, wurde mit dem Bau des Bunkers bei Kehrigk begonnen. Wenn man die 20 Tonnen schwere Stahltür öffnet, sieht man in der Mitte des Bunkers einen etwa drei mal drei Meter großen Zwinger aus Stahlgittern — an jeder der vier Seiten steht eine geladene Kobalt-Kanone. Schweine und Ratten waren in den Zwinger getrieben und dort über einen längeren Zeitraum radioaktiv bestrahlt worden.

Gerd Grüneberg, heutiger Institutsleiter, erklärt, daß mit Hilfe der Dauerbestrahlung auf wesentlich aussagekräftigere Ergebnisse von Schäden durch Radioaktivität geschlossen werden konnte — im Gegensatz zur früher üblichen Einmalbestrahlung. Ärzte, die auf Weiterbildungsseminaren im Eberswalder Institut oder der Nuklearforschung an der Leipziger Universität waren, zeigen sich gegenüber der taz überrascht, daß sie von der Anlage nie etwas erfahren hatten. Grüneberg erwidert, „daß es unter der DDR-Regierung fast nichts gab, was nicht geheim gehalten wurde“. Wie viele Tiere bestrahlt wurden und wo sie abgeblieben sind, konnte Grüneberg nicht sagen, weil er entsprechende Unterlagen bisher nicht kenne.

Was mit dem hochradioaktiven Kobalt geschehen soll, ist unklar. Reinhard Stolze, Mitarbeiter beim Referat Forschung des brandenburgischen Landwirtschaftsministeriums, sagt, daß der Bonner Wissenschaftsrat Ende September entscheiden werde, ob und wie die Anlage weiterverwendet werden soll. Sollte die Anlage für immer geschlossen werden, müsse das Landwirtschaftsministerium für die Endlagerung des Kobalts sorgen.

Zur Zeit ist die Anlage ungenügend bewacht. Auf dem Gelände steht eine Datscha, die von einem Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums bewohnt wird. Die Bundeswehr kontrolliert das Gelände zweimal pro Tag. Trotzdem wurde auf dem gleichen Gelände vor etwa vier Wochen in leerstehende Sozialgebäude eingebrochen. „Der Vandalismus nimmt zu“, sagt Oberst Hans- Georg Krohm von der nahegelegenen Storkower Kaserne. Grüneberg hat beim Landwirtschaftsministerium und beim Militär seit langem darauf gedrängt, daß das inoffizielle Zwischenlager besser bewacht wird — bisher erfolglos: „Mir ist da nicht wohl bei.“ Doch die Bundeswehr fühlt sich nicht zuständig.