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Thema heute: Regionale Sportarten

■ Gegen die Einheit des schlechten Geschmacks

Im Lichte des Nationalismus be- trachtet, ist das Europa der 90er Jahre ein unberechenbares Zwit- terwesen. Oben wächst es zusam- men, unten franst es aus. Während die kleinen Einheiten immer erbitterter um Eigenständigkeit kämpfen, rücken sich die großen behäbig, aber stetig näher. Zu den keltischen Separatistenvölkern im Baskenland, der Bretagne oder in Irland gesellen sich die jugoslawischen und sowjetischen Möchtegernrepubliken.

Gleichzeitig sorgt der Gemein- same Markt für eine bis vor weni- gen Jahren noch undenkbare Nivellierung der kulinarischen Vorlieben. Sizilianer saufen völlig ungeniert Guinness, während sich Skandinavier erdreisten, ihr Smörrebröd mit Cappuccino hinunterzuspülen. In verschlafenen irischen Kleinstädten, wo Teebeutel und Bierfaß absolutistisch über das Getränkewesen herrschten, fließen plötzlich Sauvignon und Chablis in rauhen Mengen. Die Öffnung des Ostens läßt weitere Unbill befürchten.

Noch viel fataler wirkt die Ver- einheitlichung der Produkte selbst. Einheitsgurke und Normtomate verwässern jede europäische Salatmahlzeit, sogar dem Camembert soll es an den Kragen gehen. Europa — ein gigantischer Eintopf, ein Konglomerat ehemals nationaler Besonderheiten, die auf niedrigerer Ebene reproduziert werden, ein fader Brei, angerichtet von der terroristischen Internationale des schlechten Geschmacks. Analog verläuft die Entwick- lung im europäischen Sport. Aus- länderklauseln purzeln wie Fuß- ballstürmer in gegnerischen Strafräumen, und in naher Zukunft wird es in Italien keinen einzigen Kicker mehr geben, der italienischen Geblüts ist. Nationalteams werden bald, wie es im Polo üblich ist, aus den Spielern, die im jeweiligen Land aktiv sind, zusammengestellt, Fernsehübertragungen ziehen sich wegen des Abspielens der vielen Hymnen in die Länge, Fans ersticken unter dem Gewicht ihrer zahlreichen Nationalflaggen und sind völlig ratlos, mit wem sie sich nun eigentlich prügeln sollen. Der Turmbau zu Babel nach Hooligan-Manier.

Spätestens, wenn die alten Vereinsnamen endgültig durch die der Sponsoren ersetzt sind, Katrin Krabbe ihre Spikes für Cajamadrid schnürt, Boris Becker für Rot-Grün Greenpeace serviert und der Skiläufer Armin Bittner für den SC Bölkow- Blohm wedelt, steuert der Nationalismus im Sport seinem verdienten Ende entgegen. Was dann am Rande des sportlichen Showbetriebs übrigbleibt, sind die regionalen Sportarten. Als Exklaven des multikulturellen Weltgeistes werden sie gemeinsam mit einigen ungenormten Feldtomaten dafür sorgen, daß der Geist des Individuellen auch in Europa nicht völlig untergeht. Matti Lieske

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