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Schwingen, Hornussen und Steinstoßen...

...nur noch attraktiv für eine Minderheit in der Schweiz/ Moderne Eidgenossen haben mehr Spaß an Tennis oder Fußball  ■ Von Frank Matter

Schon die alten Eidgenossen griffen sich gerne in die Hosen, nicht etwa um sich sexuell zu stimulieren, sondern um den Gegner — hauruck — aufs Kreuz zu legen. Bereits eine Darstellung aus dem dreizehnten Jahrhundert zeigt zwei Mannsbilder, die sich tüchtig an den Kleidern zerren.

Das Schwingen, die typisch schweizerische Version des Ringkampfes, erfreut sich auch heute noch einiger Popularität. Jahraus, jahrein steigen an zahlreichen regionalen Veranstaltungen urchige Männer in den Ring, um sich unter freiem Himmel im Sägemehl zu wälzen und ihren Kontrahenten mit einem „Kurz“, einem „Brienzer“ oder einem „Schlungg“, so heißen die Wurftechniken in der helvetischen Fachsprache, auszutricksen. Einmal alle drei Jahre treffen sich die 280 Besten der rund 5.000 aktiven Ringkämpfer zum nationalen Hosenlupf. Der Sieger des „Eidgenössischen Schwing- und Alplerfestes“ erhält als Belohnung eine besonders schöne Kuh und darf sich fortan „Schwingerkönig“ nennen.

Während sich die Ringkämpfer um den Monarchentitel balgen, tragen ein paar Meter weiter auch die Hornusser und Steinstoßer ihre Wettkämpfe aus. Denn Hornussen und Steinstoßen gehören zum Schwingen wie das Matterhorn zur Schweiz.

Das Steinstoßen ist die naturnahe Form des Kugelstoßens: Muskulöse Männer stemmen zehn bis 20 Kilo schwere Steinbrocken in die Luft und werfen sie mit gestreckten Armen so weit wie möglich. Beim Hornussen, einem Mannschaftsspiel, geht es darum, einen Puck mit einem 2,6 Meter langen Schlegel möglichst weit wegzuschlagen.

Die Geschosse erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 330 Stundenkilometern und fliegen gegen 200 Meter weit. Die Spieler der gegnerischen Mannschaft versuchen, den Flug mit großen Holztafeln, die sie in die Luft werfen, zu bremsen.

Eher Volksfest, denn Sportanlaß

Trotz der mit tierischem Ernst durchgeführten Wettkämpfe ist das „Eidgenössische“ mehr ein Volksfest als ein Sportanlaß. Ländlermusik, Jodler, Bratwürste und schweizer Fahnen prägen das feuchtfröhliche Spektakel, das alle drei Jahre bis zu 50.000 Schaulustige anzieht. Daß die „nationalen Spiele“ eng mit Folklore verknüpft sind, hat historische Gründe:

Die von Napoleons Soldaten besetzte Schweiz, damals ein loser Bund von Kleinststaaten, bemühte sich anfangs des 19.Jahrhunderts um eine nationale Identität. Die wackeren Eidgenossen besannen sich auf die Sitten ihrer Vorväter und inszenierten 1805 und 1808 im Bergkaff Unspunnen zwei große vaterländische Shows, an denen die helvetischen Schwinger, Hornusser und Steinstoßer der Welt und sich selbst beweisen durften, was sie konnten. Seither sind diese Sportarten untrennbar mit dem idyllischen Schweiz-Bild verbunden, das während des ganzen 19.Jahrhunderts als Reaktion auf das aufkeimende Nationalgefühl benachbarter Völker hochstilisiert wurde.

Weil die Schweizer indes längst kein Volk von Hirten und Jodlern mehr sind, ist das klassische Schweizbild für viele Eidgenossen zur lebensfremden Ideologie verkommen. So sind auch Schwingen, Hornussen und Steinstoßen nur noch die Freizeitbeschäftigung einer Randgruppe. Der durchschnittliche Zeitgenosse spielt lieber Tennis und Fußball oder schaut sich im Fernsehen ein Autorennen an.

Dennoch erfreuen sich die altüberlieferten Nationalsportarten immer noch einer gewissen Popularität, gerade in konservativen, ländlichen Gegenden. Die europäische Integration, die zunehmende Internationalisierung der Lebensgewohnheiten erzeugen eine Gegenreaktion: Das typisch Einheimische wird als Symbol gegen die kulturelle Anpassung zelebriert.

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