Kapitulation vor Pogromstimmung

Montag abend wurden die Asylbewerber aus Hoyerswerda evakuiert/ Nicht die Skins, sondern der Arbeiter und die normale Angestellte klatschen Beifall/ Politiker lassen sich nicht blicken  ■ Von A.Rogalla und M.Rediske

Hoyerswerda (taz) — Nicht die zwanzig, dreißig Skins von Hoyerswerder haben es geschafft, daß kein Flüchtling mehr in der Stadt wohnt. Es waren die BürgerInnen von nebenan. Und diejenigen, die Beifall klatschen und johlen, wenn die Ikarus-Busse vorfahren, um das Asylbewerberheim zu räumen, sind keine angereisten Touristen aus der rechtsradikalen Szene der Republik. Es sind zu zwei Dritteln Kids aus dem „Wohnkomplex 5c“, die auf der anderen Straßenseite der Evakuierung zusehen und entlang der Busse ein feindliches Spalier bilden. Nach und nach kommen die Menschen aus dem Heim und schleppen die wenigen Habseligkeiten heraus. Gebrauchte Schwarzweißfernsehapparate, in löchrige Tücher eingewickelt, Säcke mit gebrauchtem Geschirr und billige Plastikkoffer. Dann müssen die Asylbewerber lange warten. Die Busse sollen sie an einen „unbekannten sicheren Ort“ bringen.

Manche derer, die in der Presse seit Tagen verharmlosend „Schaulustige“ genannt werden, halten entspannt eine Büchse Astra-Pilsener in der Hand, andere brüllen von Zeit zu Zeit „Deutschland den Deutschen“. Niemand widerspricht.

Kurz vor 19 Uhr sind erst drei Busse abgefahren, die rumänischen Familien sitzen auf den Eingangstufen zum Heim, die Vietnamesen diskutieren heftig, erklären mit eindringlichen Gesten, daß sie nur nach Westdeutschland gebracht werden wollen. Anderswo in Sachsen hätten sie nicht weniger Angst.

Wenige Minuten später droht die Situation zu eskalieren. Im vierten Stock schwingt sich ein junger Mann auf das Fenstersims, gestikuliert wild und droht, sich herunterzustürzen. Der Mob auf der anderen Straßenseite ist außer Rand und Band: „Spring doch — spring doch endlich“. Das Volk belustigt sich. Von hinten umgreifen Arme den Menschen hoch oben, der die Nerven verloren hat, er wehrt sich, stemmt sich mit den Füßen gegen die Hauswand und wird schließlich doch wieder ins Zimmer gezogen, das Fenster geschlossen. Kurz darauf splittert das Glas der Scheibe. Wollte er durch das Fenster springen? Sanitäter werden gerufen, sind erst nach zwanzig Minuten da — ihre Ambulanzfahrzeuge parken in zehn Metern Entfernung. Der Mann hat sich „eine leichte Schnittwunde“ zugezogen, erzählt lapidar ein Polizist.

Klammheimliche Komplizenschaft verbindet hier alle, das gaffende Volk auf der anderen Straßenseite mit der Polizeikette, die den Bürgersteig vor dem Heim abgeriegelt hält. Finstere, vielfach unbeteiligte Gesichter, wenn sich vier Meter vor ihnen das „gesunde Volksempfinden“ Ausdruck verschafft. Einfach keine Reaktion. Bis auf einen Polizeileutnant, der keine Scheu hat, dem Rundfunkreporter ins Mikro zu kommentieren: „Zufrieden sind wir schon, wenn die ganzen Ausländer weg sind.“

Lippenbekenntnisse der Politiker

Und die Politiker, die Kirchen, die Gewerkschaften? Wer zeigt sich solidarisch mit denen, die hier vertrieben werden? Landrat Wolfgang Schmitz (CDU) hält an diesem Nachmittag seine regelmäßige Kreistagssitzung ab. Sie hätten da, sagt er der taz am Mittag, eben noch andere Probleme, zum Beispiel der Aufbau der Verwaltung. Erst nach acht Uhr, fast alle Flüchtlinge sind schon abgefahren, taucht er, der hier um die Ecke wohnt, auf. Die evangelische Kirche tut sich mit einem „Tagesthemen- Statement“ ihres Superintendenten hervor — während der Räumung ist von ihr nichts zu sehen.

Die Solidaritätsdelegation, die am Sonntag aus Berlin kam, darunter die „Liga für Menschenrechte“, die Alternative Liste und auch die Kreuzberger Szene, fand jedenfalls keine Nachahmer. Die Blumen, die am Samstag die Bereichsleiterin eines Versandhauses auf dem Marktplatz an ausländische Mitbürger verteilt hatte und die tags darauf in keinem Preseartikel fehlten, blieben verschämte Zeichen der Solidarität der Hoyerswerdaer.

Als gegen 19 Uhr wieder drei Busse abfahren, winken manche, nicht nur die Kinder, zum Abschied aus den Fenstern. Zur Häuserfront hin, wo noch Leidensgenossen zurückgeblieben sind. Und auch zur anderen Straßenseite, zu ihren Peinigern. Als Antwort zersplittert ein Wurfgeschoß eine der Busscheiben.

Der 'dpa‘-Korrespondent, der dem ersten Konvoi von drei Bussen und einigen Privatfahrzeugen hinterherfährt, berichtet anschließend von einer dreistündigen, scheinbar ziellosen Irrfahrt durch Sachsen. Die Menschen sind desorientiert und verzweifelt, immer wieder stoppt der Troß aus unerklärlichen Gründen — vermutlich ist das Ausweichquartier noch nicht gesichert. Die Asylbewerber lassen sich nur mit Mühe zur Weiterfahrt bewegen. „Schmeißt uns doch alle aufs Feld und verbrennt uns“, ruft ein etwa 40jähriger Rumäne immer wieder in die Nacht. Erst nach drei Stunden ist der Zielort erreicht, der nicht bekanntgegeben werden soll.

Eine chaotische Ausquartierung, so überstürzt und hektisch, wie Polizei und Politik hier überhaupt reagiert haben. Ein abrupter Wechsel zwischen behelmten Hundertschaften, die das Gelände die letzten Nächte abgesperrt haben, und dem Fehlen auch nur einer einzigen ständigen Polizeistreife in der Thomas- Müntzer-Straße, die die meist minderjährigen Krakeeler mit ihren Kanonaden von „Viehzeug“ bis „Buchenwald“ hätte abschrecken können.

„Wir sind immer präsent gewesen, auch wenn wir nicht zu sehen waren“, verlautbart anderntags die Polizeileitung. Einen Sturm auf das Wohnheim hätten sie vermutlich verhindern können. Aber nicht ein bevorstehendes Pogrom hat die Stadt ausländerfrei gemacht. Es war die Pogromstimmung. Und der ist in Hoyerswerda niemand entgegengetreten.