Zur Jagd getragen

■ Die ÖTV-Tarifgespräche sind abgeschlossen mit einem lauen Kompromiß

Zur Jagd getragen Die ÖTV-Tarifgespräche sind abgeschlossen — mit einem lauen Kompromiß

Die Gewerkschaften ÖTV und DAG haben allen Grund aufzuatmen. Mit knapper Not, angetrieben nicht nur von ihrer empörten Mitgliedschaft, sondern auch getragen vom politischen Willen aller Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, haben sie die Anerkennung der Vordienstzeiten der ostdeutschen Angestellten im öffentlichen Dienst endlich durchgesetzt. Die Gewerkschaften sind gewissermaßen zur Jagd getragen worden, nachdem sie im März dieses Jahres die tarifrechtliche Diskrimierung der betroffenen Ex- DDR-Bürger ohne Widerstand akzeptiert hatten. Aufgeschreckt durch den Protest derer, die unabhängig von Qualifikation und geleisteten Dienstjahren wie Berufsanfänger bezahlt wurden, hetzten sie schließlich an die Spitze der Bewegung, um dort wie selbstverständlich ihre Position einzunehmen.

Noch ist nicht klar, wie die Betroffenen darauf reagieren werden, daß sie nicht rückwirkend, sondern erst ab Dezember tariflich verwestlicht werden, bei nach wie vor 40 Prozent Abschlag. Daß die geltenden Kündigungsregelungen nicht übernommen wurden, wird weiterhin für Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten sorgen, ist aber angesichts des notwendigen Abbaus im ehemals aufgeblähten Verwaltungssektor nicht nur unsinnig. Peinlich aber bleibt das Versäumnis der in Westdeutschland angesiedelten Gewerkschaftszentralen, die politische Brisanz zu erkennen, die in der pauschalen Diskriminierung der ostdeutschen Arbeitnehmergruppe liegt. Auch auf diesen Punkt mußten sie erst mit der Nase gestoßen werden — und das noch von denen, die letztlich dafür zahlen müssen: den Arbeitgebern im Osten. Und ohne den offen ausgeübten Druck führender SPD-Politiker auf die Parteigenossin Heide Simonis von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder wäre der nun ausgehandelte Kompromiß vermutlich noch kläglicher ausgefallen. Die Tarifgegnerin Simonis hatte praktisch schon im Vorfeld dieser Runde aufgegeben und letztlich, neben dem hinausgezögerten Zahltag, nur noch aushandeln können, daß Stasi-Leute und Parteisekretäre von den neuen Regelungen ausgeschlossen bleiben.

Immerhin bleibt es somit ein Verdienst Heide Simonis, das sensible Thema aus der ÖTV-Tabuzone herausgeholt zu haben. Mit sicherem Gespür für unangenehme Themen hat sich die Gewerkschaft nämlich bislang erfolgreich um eine Diskussion dieses Problems gedrückt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von Angestellten im früheren Partei- und Verwaltungsapparat muß als mindestens loyal zum SED-Staat eingestuft werden. Es wird Zeit, daß sich die ÖTV Gedanken darüber macht, wie sie mit Hunderttausenden von (potentiellen) Mitgliedern umgehen will, die ihre Karriere eng an die Verwaltung eines Unrechtsstaats geknüpft hatten. Barbara Geier