„Die Tiere haben mich nie verlassen“

Der Auftritt des ehemaligen Chefdevisenbeschaffers der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski, war von einem großen Presserummel begleitet/ Schalck kündigt Enthüllungen an  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Der heiße Stuhl war gestern ein dürftig gepolsterter Freischwinger und stand im Fraktionssaal der CDU/ CSU im Bonner Bundestag. Dorthin hatte der Vorsitzende des Schalck- Untersuchungsausschusses, Horst Eylmann, in Erwartung des überdurchschnittlichen Presseandranges die erste Vernehmung des Mannes verlegt, dem das Gremium seinen Namen und seine Arbeit verdankt: Alexander Schalck-Golodkowski. Der schiebt sich durch eine Nebentür in den Saal, läßt sich stehend und schweigend von allen Seiten beblitzen und beleuchten, sondiert unsicher durch die Lücken in der Pressemauer das Terrain.

In der ersten Vernehmungsrunde, die heute fortgesetzt wird, soll Schalck über seine Rolle als Unterhändler bei vertraulichen Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Regierungen Auskunft geben. „Darf ich sitzenbleiben, oder...?“ Er darf und kündigt an, „nach bestem Wissen und Gewissen“ auszusagen, obwohl er dazu als Beschuldigter nicht verpflichtet ist. Dann listet er sein westdeutschen Gesprächspartner des letzten Vierteljahrhunderts auf.

Von 1967 bis 1973 stand er mit dem Westberliner Wirtschaftssenator Karl König (SPD) in Kontakt. Den Sozialdemokraten hat er über den Fleischgroßhändler Horst Krumke kennengelernt. Schalck wittert, daß bei dieser Berufsbezeichnung jeder im Saal an den Rosenheimer Schlachtviehbaron Josef März denkt, der ihn später mit Franz Josef Strauß zusammenbrachte, und grübelt laut: „Die Tiere haben mich nie verlassen.“

Doch zwischen König und Strauß kamen noch andere: Bonner Ministerialdirektoren und Staatssekretäre, die Ständigen Beauftragten der Bundesregierung Gaus, Bölling und Bräutigam, die Kanzleramtsminister Jenninger, Schäuble und Seiters. Auch Industrielle, Banker und hohe Kirchenmänner, schließlich die CSU-Politiker Strauß, Waigel, Tandler und Streibl. Und der Schwabe Späth. Nie habe er oder einer seiner Gesprächspartner materielle Vorteile aus diesen Kontakten gezogen, beteuert Honeckers ehemaliger Emissär, wohl wissend, daß allerhand Gerüchte um Provisionen bis hin zur verdeckten Parteienfinanzierung kursieren.

Schalck spricht zunächst schleppend; steif trägt er vor, spürbar nervös. Nach Schalcks kurzer, spröder Einleitung beginnt der Vorsitzende Eylmann mit der Befragung: Wie Schalck denn in diese wichtige Position geraten sei? Vom kleinen SED- Kreissekretär im Außenhandel, so Schalck, habe er sich hochgearbeitet; die Geschäftskontakte, die er als Leiter des Leipziger Messestabes knüpfen konnte, waren förderlich. Demokratisch sei er aber in der SED sicher nicht gewählt worden, kontert Eylmann, ob ihn denn nie Zweifel am Unrechtsstaat DDR geplagt hätten?

Jetzt taut Schalck auf, redet flüssiger und verfällt in Berliner Dialekt — ein untrügliches Zeichen, daß er seine Balance gefunden hat. „Ich bin ja nicht Mitglied der SED geworden, um schuldig zu werden“, blafft er und entschuldigt sich, „wenn ich jetzt leidenschaftlich werde“. Aber in allen seinen Unterhändler-Jahren habe ihm nie ein Westpolitiker die Hand verweigert, weil er einen Unrechtsstaat vertrete.

Bei Redaktionsschluß schlug Alexander Schalck-Golodkowski gerade „das Kapitel Gaus auf, das mir schon sehr am Herzen liegt“. Er tat es mit einem süffisanten Zug um die Mundwinkel.