Schalck: „Ick hab' den BND betreut“

Wenig Neues bei Schalcks Auftritt vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages/ Ost-CDUler Krause ließ Schalck über mögliche Stasi-Verbindungen de Maizières befragen/ Sonst gab der Ex-Valuta-Agent der DDR vor allem Bekanntes zum besten  ■ Aus Bonn Th. Scheuer

Der korpulente Mann lehnt sich im Freischwinger zurück, faltet die Hände über dem Verdauungstrakt und beginnt zu dozieren: Ein Schnellkurs über die Valutapolitik der DDR für die Abgeordneten des Bonner Schalck-Untersuchungsausschusses. Denn so viel ist dem Mann, dem der Ausschuß seinen Namen und seine Aufgabe verdankt, bald klar: Die haben ja keine Ahnung hier, wie das drüben lief.

Alexander Schalck-Golodkowski, fast ein Vierteljahrhundert Boß der Devisenbeschaffungsbehörde „Kommerzielle Koordinierung“ mit engster Stasi-Anbindung, vor dem Gremium des Bundestages, das eben dessen Umtriebe, vor allem die Beziehungen zu westlichen Firmen und Politikern erhellen soll. Laut Tagesordnung geht es in dieser ersten zweitätigen Vernehmungsrunde nur um Schalcks Rolle als Unterhändler in den deutsch-deutschen Verhandlungen, oft geführt auf geheimen Nebengeleisen neben den offiziellen diplomatischen Kanälen. Ausschußleiter Eylmann (CDU) erteilt dem Zeugen ein paar Takte Staatsbürgerkunde über den demokratischen Rechtsstaat BRD und den Unrechtsstaat DDR. Aber was erwartet Eylmann von Schalck? Daß dieser sich als verkannter Widerstandskämpfer gegen Honckers Regime zu erkennen gibt? Schalck steht zu seiner Biographie: Er bekennt, damals ein „überzeugter Anhänger der SED“ gewesen zu sein. „Ich bin ja nicht in die SED eingetreten, um mich schuldig zu machen“, blafft er den Vorsitzenden an. Auch spätere Zweifel führten nicht dazu, „daß Schalck an der Spitze den Widerstand organisiert hat.“ (Er redet häufig von sich in der dritten Person, wie um Distanz zu seinem eigenen Mythos zu gewinnen.) Für Widerspruch gegen die SED-Führung habe er „nicht den Mut gehabt.“

Kläglichen Schiffbruch erleidet CDU-Obmann Rüttgers mit dem Versuch, den SPD-Mann in Schalcks West-Beziehungsgeflecht zu finden, quasi als sozialdemokratisches Pendant zu Franz Josef Strauß. Die Enthüllungen über dessen jahrelange Geheimkontakte zu Schalck, bei denen der Rosenheimer Metzgerbaron und Strauß-Spezie Josef März als Transmissionsriemen diente, haben die Regierungsparteien — ohnehin geplagt durch die Stasi-Vergangenheit manches Neuzuganges aus dem Osten — arg in Bedrängnis gebracht. Nun will Rüttgers von Schalck hören, daß er auch zu hochkarätigen Sozis undurchsichtige Kontakte pflegte.

Aus dem guten Draht, den Schalck von 1967 bis '73 zum Westberliner Wirtschaftssenator Karl König (SPD) pflegte, hatte schon Report München (!) am Dienstag vergebens einen Skandal zu flechten versucht. Keine Geheimkontakte zu Willy Brandt und Helmut Schmidt, insistiert Rüttgers? Fehlanzeige. Dann wenigstens geheime Treffs mit Bahr oder Wischnewski oder Ehmke? „Keine“, kommt es knapp über Schalcks schmale Lippen; dann fügt er hinzu, was Rüttgers gerade nicht hören wollte: „Meine Kontakte waren sehr kopflastig zur CDU“. Schlagseitig meint er wohl.

So bringt die erste zweitägige Vernehmungsrunde über Schalcks Rolle als Unterhändler im deutsch- deutschen Dschungel kaum neue Fakten. Deutlich wird aber, von welchem Kaliber dieser Schalck ist. Schalck antwortet oft mit Witz und Pfiff, sehr zum Amusement des Publikums. Wer es über Jahre in seiner Position diplomatisch mit Strauß, Schäuble und Seiters getrieben hat, den bringen die Fragen kleiner Abgeordneter nicht aus der Fassung. „Was glauben Sie eigentlich, wie Staatsmänner verhandeln,“ speist er einen Hinterbänkler ab. Einige Fragen sind auch zu dähmlich. Natürlich haben DDR-Delegationen bei Auslandsreisen Geschenke bekommen. Er selbst etwa „viel mehr Alkohol als mir gut tut“ — und einen bayerischen Löwen; Kichern in den Pressebänken. Daß er vor solchen Lichtern auf dem Büßerstuhl sitzt, macht ihm schmerzhaft klar, wie tief er gefallen ist. Das verletzt ihn, darunter leidet er spürbar. Die Tränendrüsen drücken, wenn er etwa den Namen Seiters erwähnt. Mit dem Kanzleramtsminister hat er noch im Auftrag Modrows verhandelt. Doch während sein damaliger Gesprächspartner als Wegbereiter der deutschen Einheit gefeiert wird, wähnt sich Schalck als der Deutschen liebster Bösewicht verteufelt.

Ins Schleudern gerät Schalck erstmals, als SPD-Obmann Bülow den früheren Devisenagenten Schalck von der staatsmännischen Ebene wieder auf den Boden des KoKo-Alltages holt. Und dieses Firmenimperium war eben von Anfang an als kriminelle Vereinigung angelegt. „Unseriöse Methoden“, „illegale Warentransporte“, Versicherungsbetrug — Schalck selbst hat solch mafiose Umtriebe schon 1965 in einem Brief an Politbüromitglied Hermann Matern als Quellen der Devisenerwirtschaftung benannt (vergl. Taz v. Dienstag). Bülow zitiert auch aus Schalcks Doktorarbeit, die er kollektiv verfaßt hat mit einem Stasi-Offizier an einer Stasi-Hochschule und die Erich Mielke persönlich abgenommen hat. Darin hat er programmatisch die Strukturen und Methoden seines späteren Schattenreiches KoKo entwickelt. Und: Er hat dieses Konzept konsequent in die Praxis umgesetzt und den “ Konzern bis zuletzt verantwortlich geleitet. Zu dem Brief an Matern fällt ihm nicht mehr ein, als daß der womöglich gefälscht sein könnte.

Frank und frei plaudert Schalck nur über das, was eh schon bekannt ist. “ Ich bin doch nicht so blöd, hier abzustreiten, was schon bekannt ist, kontert er Fragen zu seinem Stasi- Dienstgrad. Seine Ernennung zum “Offizier im besonderen Einsatz sei angesichts seiner sensiblen Westkontakte ganz normal gewesen. Er habe jedoch nie Weisungen von Mielke erhalten, sei diesem auch nicht unterstellt gewesen.

Doch wenn die Abgeordnete Köppe vom Bündnis 90/Grüne von dem Ex-Unterhändler wissen will, mit welchen Politikern er seit seiner Flucht Verbindung hatte, versiegt sein Redefluß. Schalck windet und sträubt sich. Erst nach regem Getuschel mit seinem Anwalt offenbart er: Drei handgeschriebene Briefe habe er an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble geschickt. Sie blieben unbeantwortet. “ Dafür habe ich auch volles Verständnis.“ Staatssekretär Gauweiler habe er mal kurz auf einer Münchner Party, den Ex- DDR-Innenminister Diestel zu einem längeren Gespräch getroffen.

Auf mehrmaliges Drängen des Kanzleramtes habe der BND ferner ein Treffen mit dem damaligen CDU-Volkskammerabgeordneten Ralf Geisthardt arrangiert. Ihm sei vorher bedeutet worden, so Schalck vor dem Ausschuß, die Bereitschaft zu diesem Treffen werde “für meine politische Zukunft von Bedeutung“ sein. Neugierig und mißtrauisch zugleich habe er sich in Begleitung eines Pfarrers dann in einem Münchner Hotel mit Geisthardt getroffen. Der Ost-CDU-Mann habe ihn im Auftrag des DDR-Staatssekretärs und heutigen Bundesverkehrsministers Günther Krause (CDU) nach möglichen Stasi-Kontakten des DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere befragt. Doch Schalck mußte passen.

Auch über sein Gespräch mit BND-Präsident Hans-Georg Wieck, der am heutigen Freitag über die Rolle des Dienstes in der Causa Schalck Auskunft geben soll, mag sich Schalck erst auslassen, nachdem er vergebens geheime Sitzung verlangt hat. “ Mit wem wir Kontakt hatten, den lassen wir nicht fallen“; er könne sich mit allen “ Fragen und Sorgen“ an den Dienst wenden, gibt Schalck den BND-Chef wieder. Deshalb sei er sehr enttäuscht gewesen, daß man ihn in Pullach seit Februar, also seit Beendigung der offiziellen Befragungen, am Telefon abgewimmelt habe. Der BND habe somit sein Versprechen nicht eingehalten. Zusagen über eine Straffreiheit als Gegenleistung für seine Aussagen habe er nie erhalten, versichert Schalck: “ Mir hat niemand etwas versprochen. Mit ist niemand etwas schuldig.“ Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe ihm nie mehr als rechtsstaatliche Behandlung versprochen.

Zur strittigen “ Betreuung“ durch den Geheimdienst flutscht ihm raus: “ Ick hab' den BND betreut.“ Schließlich habe er die Schlapphüte immer mit Kaffe und Kuchen versorgt, auf seine Kosten. Selbst die Miete für die abgelegene Berghütte mit Kanonenofen, auf die er sich auf Rat des BND zeitweilig aus Sicherheitsgründen zurückzog, habe er selbst bestritten. Seine Sicherheit scheint den westdeutschen Behörden von Anfang an große Sorgen bereitet zu haben. Während der U-Haft in Moabit, so berichtet Schalck, sei er nach Drohungen verlegt worden — „in den Sicherheitstrakt der RAF.“