INTERVIEW
: „Es fehlt an politischen Aktionen“

■ Ioan Tufoi, Chef der „Unabhängigen Gewerkschaft“ von Temeswar, meint, daß Rumänien ohne eine radikale politische Wende im Chaos versinken wird

taz: Herr Tufoi, vor einem Jahr knüppelten Bergarbeiter im Auftrag der Regierung Oppositionelle in Bukarest nieder. Jetzt fordern die gleichen Arbeiter den Rücktritt dieser Regierung...

Tufoi: Es handelt sich meiner Ansicht nach nicht um die gleichen Bergarbeiter. Zumindest ihre Wortführer sind andere. Aber dennoch muß ich sagen, wir müssen erst noch herausfinden, was genau hinter dieser gewalttätigen Aktion steckt. Schließlich haben die Bergarbeiter über ein Jahr lang dazu geschwiegen, warum sie im Juli letzten Jahres willkürlich auf „Hooligans“ — wie sie die protestierenden Studenten nannten — einschlugen. Wir wissen noch zu gut, wie sie von Iliescu und Roman gerufen wurden und dann sechs Demokraten zu Tode knüppelten, eine Hetzjagd auf alle kritischen Geister Bukarests veranstalteten und einen schrecklichen Terror über die Hauptstadt legten.

Also distanzieren Sie sich von den derzeitigen Protestaktionen?

Was wir über das Fernsehen mitbekommen, wirkt wie Randale. Das ist keine Protestform von Arbeitern. Eines ist sicher: die jetzige neokommunistische Regierung muß abtreten, die Massenmedien ihrer Kontrolle entzogen werden. Wenn das geschehen ist, dann können wir von den Bergleuten auch wirklich erfahren, was ihr Anliegen ist. Dann wird sich herausstellen, ob sie Demokraten sind oder ob ihnen nur an Chaos und Gewalt liegt.

Ministerpräsident Petre Roman hat gerade seinen Rücktritt bekanntgegeben und eine Umbildung der Regierung vorgeschlagen...

Dem ist nicht zu trauen. Neuwahlen sind der einzige Ausweg aus der verworrenen politischen Situation, in der sich nichts zum Besseren entwickelt. Die Löhne fallen, die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch an, doch die Privatisierung und die Wirtschaftsreform existieren nur auf dem Papier. Immer mehr Menschen verarmen — und das in einem Ausmaße wie in den schrecklichsten Jahren der Ceausescu-Diktatur. Ohne radikale Veränderungen versinkt Rumänien noch tiefer im Chaos.

Sind die Gewerkschaften selbst auf solche Veränderungen vorbereitet?

Offen gesagt, nein. Zum einen gibt es nicht die Gewerkschaftsbewegung. Die neokommunistische Regierung hat ihre eigene Gewerkschaft, dann gibt es lokale Gewerkschaften ohne politisches Konzept und dann noch einen Verband unabhängiger Gewerkschaften, die aber auch noch nicht über eine effektive Koordination verfügen, nur in seltenen Fällen eine gemeinsame Plattform zustande bekommen. Wir sind nicht einmal dort, wo die Solidarność in Polen 1981 begann. Es fehlt an politischen Arbeiteraktionen. Aus diesem Vakuum heraus bildete sich diese konfuse Bergarbeiterbewegung. In den nächsten Tagen werden wir sehen, ob aus dieser Bewegung der Keim einer allgemeinen Arbeitersolidarität entstehen kann. Ob landesweit Streiks, nicht Unruhen, ausbrechen, die Regierung Neuwahlen ausschreiben muß und so ein Neuanfang möglich ist. Interview: Roland Hofwiler