Kumpel zwingen Iliescu in die Knie

■ Nach der Randale Tausender von Bergarbeitern reichte Rumäniens Premier Roman seinen Rücktritt ein. Jetzt soll auch Iliescu gehen.

Kumpel zwingen Iliescu in die Knie Nach der Randale Tausender von Bergarbeitern reichte Rumäniens Premier Roman seinen Rücktritt ein. Jetzt soll auch Iliescu gehen.

Gerüchte und Wahrheit vermengen sich in diesen Herbsttagen in der rumänischen Hauptstadt Bukarest zu einem Brei, in dem Haß, Gewalt, Rache und Neid das öffentliche Leben weit mehr bestimmen als Vernunft und das politische Gespräch. Man braucht nicht auf das rumänische Fernsehen zu vertrauen — das in der Vergangenheit gerne mit Falschinformationen aufwartete —, um zu erkennen, daß der jetzige Protest der Bergarbeiter mehr durch Randalelust als dem Bestreben nach demokratischen Veränderungen geprägt ist. Selbst die seriöse oppositionelle Tageszeitung 'Romania Libera‘ berichtete bereits vor Tagen von Schlägereien im Kohlebecken des Schilltals, als Bergleute Privathändler und Privatbauern terrorisierten, die ihrer Meinung nach Waren des alltäglichen Bedarfs zu teuer verkauften. Die Klage der Bauern, sie müßten solche Preise verlangen, um selbst über die Runden zu kommen, soll demnach auf taube Ohren gestoßen sein. Auch als Tausende Kumpels die Umleitung zweier Regionalzüge nach Bukarest erzwangen, gingen sie nicht zimperlich vor. Die Bahnhöfe von Petrosani und Craiova wurden verwüstet, Bahnbedienstete verprügelt.

Endlich Mittwoch mittag in Bukarest hungrig und durstig angekommen, zog der Zug mit bis zu zehntausend aufgebrachten Arbeitern vom Nordbahnhof in Richtung Innenstadt. Dem Schlachtruf „Nieder mit Iliescu, nieder mit Roman!“ schloß sich auch manch ein Bukarester an. Und auf dem Weg zum Regierungssitz Petre Romans ging bereits manch eine Schaufensterscheibe zu Bruch. Die Menschen bedienten sich mit Waren, die sie sonst kaum erstehen können. Denn schon seit langem halten die Löhne mit den Preisen nicht mehr Schritt. Im letzten halben Jahr verzeichneten Statistiker eine Inflation von 200 Prozent, aber eine Kaufkraft, die um die Hälfte niedriger lag. Doch weit schlimmer ist die Tatsache, daß selbst Lebensmittel auf dem Markt schwer zu haben sind und für den Winter ein Energienotstand prophezeit wird, der an die kalten Winter unter der Ceausescu-Diktatur erinnern dürfte.

Vor diesem Hintergrund schienen die verzweifelten Kumpels zu allem bereit zu sein. Stundenlang verwickelten sie am Mittwoch die Polizei in Straßenkämpfe, schleuderten Molotowcocktails in das Parlamentsgebäude und schlugen mit Eisenstangen und Gummiknüppeln auf die Sicherheitskräfte ein. Offizielle Bilanz: drei erschlagene Polizisten, ein erschossener Demonstrant, allein auf seiten der Sicherheitskräfte 153 Verletzte.

Und auch gestern glich Bukarest wieder einer belagerten und von Gewalt geprägten Stadt. Ein Großaufgebot von Panzern riegelte am Vormittag das Machtzentrum ab, Truppen des Innenministeriums gingen mit Kalaschnikows im Anschlag in Stellung. Aber abschreckend schien dies auf die Menschen nicht zu wirken. Zehntausende versammelten sich gegen Mittag auf dem Siegesplatz, um Garantien zu bekommen, daß nach Premier Roman nun auch Staatschef Ion Iliescu zurücktrete.

Rumäniens Präsident bestätigte dann in einer Fernsehansprache, daß er das Rücktrittsgesuch Romans angenommen habe. Roman habe sich „nicht dem Druck der Straße gebeugt“, so Iliescu, sondern „aus moralischen Beweggründen, da seine Regierung nicht die Ausbreitung von Gewalt hat verhindern können“. Unterdessen versammelten sich über 10.000 Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude und skandierten: „Nieder mit Iliescu.“

Offen bleibt nach den blutigen Tagen, wie Rumänien weiter regiert werden soll und wie es seine Vergangenheit abstreifen soll. Eine Vergangenheit, in der jeder vierte Erwerbstätige in irgendeiner Form mit dem kommunistischen Geheimdienst Securitate zusammenarbeitete, in der Intellektuelle gegen Arbeiter, Händler gegen Angestellte, die Stadtbevölkerung gegen Bauern und umgekehrt ausgespielt wurden.

Bezeichnenderweise trat gestern kein namhafter Intellektueller vor die Bergarbeiter. Das Mißtrauen sitzt zu tief: Vor etwas mehr als einem Jahr, da riefen Roman und Iliescu die Kumpels, um Demonstrationen der Opposition auf dem Victoria-Platz niederzuknüppeln. Und sie taten es mit unglaublicher Härte: Sechs Studenten ließen damals ihr Leben. Ihre Kommilitonen haben den Weg zur Versöhnung noch nicht gefunden. Roland Hofwiler