Birne macht Reklame

Wie Klein-Fredenbeck vom Arsch der Welt zu deren Nabel wurde. Ein Bericht über den Skandal um Wagenbachs Quartplatte 7: „Warum ist die Banane krumm?“, die vor zwanzig Jahren die Kindersprache in den Medienpool tauchte., die damals acht Jahre alt war und heute noch alles auswendig kann, was die anti-autoritären Männer von damals gebrabbelt und trompetet haben.  ■ Von Ina Hartwig

Warum ist die Banane krumm?“ eröffnet krächzend ein Berliner Junge die Platte, und mehrere Kinderstimmen schmettern in blechernem Takt: „Ja, wenn die Banane grade wär, dann wär's keine Banane mehr.“ Diesen und ähnlich windige Sprüche hat der Berliner Verleger Klaus Wagenbach vor zwanzig Jahren auf Platte pressen lassen. Gesammelt hatte sie Peter Rühmkorf in der Gegend um Stade. Und ausgerechnet dort gab es zwei Jahre nach Erscheinen der Bananenplatte einen Skandal. Annegret Oellrich, eine 24jährige ortsfremde „Junglehrerin“, spielte die Scheibe ihrer vierten Klasse in dem 1.740- Seelen-Dorf Klein-Fredenbeck vor — wie etliche ihrer „linken“ Kollegen. Im Deutschunterricht hörten die kleinen Klein-Fredenbecker ihre Altersgenossen von der Spree Verse und Abzählreime rezitieren, die einige von ihnen vielleicht selbst schon mal geflüstert hatten. Weiter wäre das kein Problem gewesen, hätte nicht eins der lieben Kinder am häuslichen Mittagstisch davon erzählt. Die Eltern beschlossen, die ihnen kolportierten Sprüche und Lieder seien pornographisch und zotig und diese Lehrerin müsse man loswerden.

Weil wir von unserer Lehrerin in Lüneburg nur Volkslieder kannten, haben wir unsere kleinen Ohren begeistert an die Lautsprecher gedrückt, als die Mutter meiner Freundin die Bananenplatte mitbrachte. „Licht aus, Licht aus, Mutter zieht sich nackend aus, Vater holt den Dicken raus, einmal rein, einmal raus, fertig ist der kleine Klaus.“ Was soll ein über die neun langen Monate der menschlichen Schwangerschaft ordentlich aufgeklärtes Kind sich unter solch geschwinden Ereignissen vorstellen? Gütig gab die 'Frankfurter Rundschau‘ zu bedenken: „So schnell ist der kleine Klaus nicht fertig“! Das wäre auch meine Meinung gewesen, hätte ich eine gehabt. Jedoch, als achtjährige Liebhaberin der Bananenplatte war ich schlicht: ergeben. Sie bedeutete mir soviel wie den etwas Älteren das letzte Album der Beatles. Noch heute klingt mir jede Silbe im Ohr.

Harmloser gemacht, als sie ist

Von dem Skandal in Klein-Fredenbeck wußten wir Kinder nichts. Aber unsere Eltern erinnern sich noch heute, schließlich haben sie Zeitung gelesen. Die „Sex-Lehrerin“ ('Münchener Abendzeitung‘) beziehungsweise „Bananen-Lehrerin“ ('Bild‘) wurde zuerst zweitägig bestreikt; sodann erstatteten die erbosten Eltern bei der Staatsanwaltschaft Stade Strafanzeige „wegen Unzucht mit Abhängigen“ und „Beleidigung“: mit eigenen Ohren hatten sie die Platte noch nicht gehört. Polizisten kamen mit einem Durchsuchungsbefehl in Frau Oellrichs Wohnung, beschlagnahmten die im Handel erhältliche Schallplatte und „hörten dienstlich“ ('stern‘): „Drei Polizisten pißten in die Kisten, einer pißt vorbei, und du bist frei.“ Schnell kam der Brief vom Staatsanwalt: „Nach heutigem Sittlichkeitsempfinden“, mußten die Eltern lesen, könne die Platte „nicht als obszön angesehen werden“. Das Verfahren gegen die Lehrerin wurde eingestellt. Von der Schulbehörde wurde sie trotzdem strafversetzt, in ein anderes Dorf. Später ging sie nach Buxtehude, wo sie heute noch unterrichtet.

Zum Teil hat die Presse den niedersächsischen Schulskandal genutzt, um die „attraktive Lehrerin“ vorübergehend zum Sexsymbol zu machen ('Pardon‘, 'stern‘, 'Praline‘, 'Bild‘). Viele andere Zeitungen haben die aufgebrachten Eltern als lächerliche Provinzler dargestellt. Zu diesem Zweck wurde die Bananenplatte harmloser gemacht, als sie ist. Ein bißchen spiegelt sich darin die Blindheit der Kommunarden wider, die ihre Gutenachtspielchen mit nackten WG-Kindern eifrig protokollierten, weil ihnen das ins antipatriarchalische Programm paßte. Gegen traditionelle Elternschaft und religiösen Glauben teilt auch die Bananenplatte harte Schläge aus; zugeben wollte das in der Ära Brandt keiner. Die deutsche Klassik wurde so repräsentiert: „Goethe sprach zu Schiller, hol aus dem Arsch nen Triller. Schiller sprach zu Goethe, mein Arsch ist keine Flöte.“ Jahrhunderte religiöser Erziehung fanden ihren Widerhall: „Herr Jesus spricht zu seinen Jüngern, wenn du keine Gabel hast, friß mit den Fingern. Paulus schrieb an die Korinther: Wer nicht mitkommt, der bleibt hinter.“ Und eine rauhe Kinderstimme singt al tempo den Wunsch des Ödipus: „Mein Vater war ein Wandersmann und ging nicht gern zu Fuß, da schafft er sich'n Moped an und fährt mit siebzig los. Mit achtzig um die Ecke, mit neunzig gegen'n Baum, mit hundert auf'n Friedhof, das war sein letzter Traum.“ Auch Peter Rühmkorfs rhythmischer Sprechgesang läßt das wunde Tabu über die Klinge springen, die Platte endet: „Du sollst deine Eltern lieben — wenn sie um die Ecke glotzen, sollst sie in die Fresse rotzen.“

Neben den oft hemmungslos analen Versen („Salamander, Arsch auseinander, Arsch wieder zu, und raus bist du“; „Richard der Beknackte saß auf dem Topf und kackte, kackte, bis der Topf zerbrach und die Wurst daneben lag“) enthält die Bananenplatte eine Anweisung zum Handeln („Es war einmal ein Mann, der hatte keinen Kamm, da ging er hin und klaut sich einen, da hat er einen“), zwei politische Lieder (Biermann, Floh de Cologne) und sechs — für die 'FAZ‘ „antiautoritäre“ — Geschichten (Lettau, Fuchs, Bichsel, Biermann, Herburger, Reinig). Nur Männer- und Kinderstimmen sind zu hören (einzige Ausnahme: Christa Reinig). Virtuos musiziert der Wiener Ernst Jandl: „Pissideidipissideidipissideidi.“

Pipi trinken

Wie Pop-Platten ihre Ohrwürmer haben, ihre schwierigen Lieder und Balladen, gibt es auch auf der Bananenplatte einige recht verstiegene Stücke: darunter Peter Bichsels Geschichte: Ein Tisch ist ein Tisch, die in deutschen Schulen neben Borchert und Böll bald zur Pflichtlektüre wurde. Für Kinder eigentlich zu absurd ist das Märchen vom Abendkönig (erzählt von Günter Bruno Fuchs), dem „ein richtiger Arsch ins Fenster hereinschaut“. Sein Geld hat der Abendkönig auf einer Parkbank abgelegt („Mein Vater hat gesagt: lege dein Geld auf die Bank“), und dann schenkt er dem Arsch auch noch sein bestes Stück: „Hier schenke ich dir meine Krone, lieber Arsch! Meinem Vater und der Prinzessin Gisela werde ich sagen: Ich hab' meine Krone an einen Arsch verschenkt, und ich werde so langsam größer.“

Meine Sympathie galt Birne von Günter Herburger (an Kohl dachte natürlich noch niemand). Birne macht Reklame, an den Himmel schreibt er: „Pipi trinken.“ Ein Lastwagenfahrer, der den Spruch als erster sieht, geht in die nächste Kneipe und verlangt, obwohl er Bier möchte: „Ein Pipi.“ — „Wir haben kein Pipi“, sagt der Wirt. — „Was, Sie haben kein Bier?“ — „Sie sagten Pipi“, sagt der Wirt. — „Ich sagte Pipi, und Pipi meine ich“, sagt der Lastwagenfahrer. — „Nein, Bier sagte ich, und Pipi meine ich — nein, Bier, nein, Pipi.“ — „Schweinerei“, schreit der Wirt. „Bier macht die Brauerei, Pipi machen Sie selber. Raus mit Ihnen!“ Doch auch die anderen Gäste verlangen Pipi, „das sei ein neues Getränk, am Himmel stehe es geschrieben“. Der Wirt empört sich: „Macht euer Pipi allein.“ Als nächstes schreibt Birne „Popo malen“ an den Himmel, und die Erwachsenen flüstern: „Wenn wir uns schon nicht trauen, Pipi zu trinken, wollen wir wenigstens auf Popos malen.“ Und tatsächlich: „In dieser Nacht gehen viele Erwachsene mit heruntergelassenen Hosen und bemalten Popos durch die Stadt und trinken gelbe Säfte wie Ananassaft und Birnensaft, denn Pipi schmeckt wirklich nicht gut.“ Birnes letzter Spruch: „Pi-pa-po.“

Ein so schlimmer Kommunist...

Zu einer öffentlichen Anhörung der Bananenplatte hatte im Februar '73 die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nach Klein-Fredenbeck eingeladen. Der Dorfkrug Zur Linde muß aus seinen Nähten geplatzt sein. Verteidigt wurde die LP von Klaus Wagenbach, Peter Rühmkorf und zwei Professoren von der Pädagogischen Hochschule Lüneburg (an der übrigens Annegret Oellrich studiert hatte). Unter den rund achthundert dörflichen Zuhörern: keine Kinder. Im 'Stern‘ sieht man die sitzende Lehrerin schelmisch lachen. Ein Fotograf hatte sich die Mühe gemacht, in die Hocke zu gehen, so daß, wo ihre Beine und Minirock zusammentreffen, ein schattiges Dreieck schimmert. Doktor Romeyke, SPD-Gemeinderatsmitglied und oberster Wortführer der Oellrich-Gegner, hielt auch eine Rede; allein des Volkes erster Schrecken war verglüht. Die abgespielten Verse aus der Heimat kamen bei den Fredenbeckern gut an, es wurde mitgesprochen und Beifall geklatscht. Nur ein Bauer soll geklagt haben: „Das war ja ganz lustig, aber wann kommen denn endlich die Pornos?“

Statt dessen kam zeitgenössische Pädogogik. „Frau Oellrich hat die Kinder mit kritischen Alternativen zu gängigen Normen konfrontiert“, so der PH-Professr. Und Oellrich: „Die Kinder sollten die Sprachunterschiede zwischen den alten Reimen aus der kindlichen Subkultur und der Literatur von heute begreifen. Kinder sollten lernen, Sprache agitativ für sich und ihre Interessen verwenden zu können.“ Klaus Wagenbach, dessen Tochter „jeden Spruch auswendig“ kannte (so sie selbst), ging es „nicht um normale Märchen mit Prinzessinnen und Königssöhnen und Goldklumpen, die in den Brunnen gefallen sind. — Die Platte hat den Zweck, Kindern die Realität zu zeigen.“ Und die spiele sich auch in der Phantasie ab.

Nur einmal ist die Platte in einer Auflage von zehntausend Stück erschienen. Die Collage für das Cover aus Kinderzeichnungen, Comics, Sprüchen und Fotografien hat Wagenbach selbst gemacht. „Lieber rot als doof“ steht da neben einem kleinen grinsenden Lenin. Auch die sieben Kurzbiographien auf dem Rückcover verfahren nach dem Motto: lieber zu schwer als zu leicht. Wolf Biermann habe ich zum ersten Mal auf der Bananenplatte gehört (Lied vom „Ersten Mai“), damals war er noch im Osten. Für die Kinder schrieb Wagenbach: „Er ist ein so schlimmer Kommunist, daß ihn der Bürgermeister von der DDR nicht laut singen läßt. Wahrscheinlich ist sein Kommunismus zu lustig.“ Weil dieser Bürgermeister jetzt nicht mehr Bürgermeister ist, kam kürzlich Reinhard Lettau nach Berlin zurück. Daß er Segelohren hat, habe ich nicht vergessen. „Reinhard Lettau kommt aus Thüringen und wohnt in Deutschland oder Amerika. In der Schule wurde er immer wegen seiner großen Ohren geärgert, da suchte er sich einen Freund, der schielte.“ Und ich habe mir eine Freundin gesucht, die die Bananenplatte hatte.