: STRAND OHNE DEUTSCHLAND
■ An Rumäniens Küste stockt der Reiseverkehr aus Ost und West. Schlechte Versorgungslage, aber vor allem die undurchschaubare politische Situation lähmen das Auslandsgeschäft
An Rumäniens Küste stockt der Reiseverkehr aus Ost und West.
Schlechte Versorgungslage, aber vor allem die undurchschaubare politische Situation lähmen das Auslandsgeschäft.
VONMARTINUNFRIED
Lediglich der Sand in Neptun hat sich nicht verändert. Vor über zwanzig Jahren saß ich schon einmal an der Schwarzmeerküste, damals ein mit Schaufel und Eimer bewaffneter Spezialist für Sandkuchen und Sandburgen. Ausgerechnet in Rumänien, weil es Anfang der siebziger Jahre als besonders kinderfreundlich galt und die günstigsten Pauschalpreise selbst westdeutschen Normalverdienern eine erste Flugreise ermöglichten, womit in der Schule noch kräftig angegeben werden konnte. Damals waren die frisch aus dem Boden gestampften Hotelanlagen zwischen Konstanza und der bulgarischen Grenze so weit vom rumänischen Alltag entfernt, wie ihre künstlichen Namen Neptun, Jupiter, Saturn und Venus vermuten lassen. Westdeutsche Familien waren unter sich an einem fast rumänenfreien Strand. Das Rumänien Ceausescus war zwar scharf auf Devisen, nicht aber auf Westkontakte der eigenen Bevölkerung, die mit strengen Spionagegesetzen unterbunden wurden. Der Ostblock paddelte auf der ihm zugeteilten Seite des Strandes und wohnte in den schlechteren Hotels.
Im August 91 ist der Strand von Neptun von rumänischen Familien bevölkert. Die wenigen Ausländer fallen nicht besonders auf, Deutsche sind nicht auszumachen. Nicht erstaunlich — ist doch das heutige Rumänien-Image bei uns geprägt von verwahrlosten Kinderheimen und prügelnden Bergarbeitern, beides hat mit Erholung nicht viel zu tun. Das Fehlen der Deutschen sagt einiges über das Ausmaß der Krise im Auslandsgeschäft. Es waren nämlich vor allem Reisende aus der Bundesrepublik, die in den siebziger Jahren für einen ungeheuren Boom sorgten. Auf dem Höhepunkt 1979 besuchten 250.000 Westdeutsche Rumänien. Danach begann der Absturz, eng verknüpft mit Ceausescus Imageverlust im Westen. Durch seine ridige Sparpolitik kam es im Land zu großen Versorgungsproblemen, die auch die Reservate der Westtouristen nicht mehr verschonten. Die großen deutschen Veranstalter zogen sich aus dem Rumäniengeschäft zurück. TUI ist 1986 ganz ausgestiegen und Neckermann und IDS (Kaufhof) haben nur noch die Schwarzmeerküste im Programm. „Nach 1989 kam dann der Nullpunkt“, sagt Reiner Struck von Hansa Tourist. In diesem Jahr seien ungefähr 500 Reisen gebucht worden. Insgesamt, schätzt er, dürften es nicht mehr als ein paar tausend deutsche Rumänienurlauber sein. Michael Schanz vom größten deutschen Rumänien-Anbieter Rotours hofft, daß der absolute Tiefpunkt endlich überwunden ist. Es habe in diesem Jahr keine Reklamationen wegen Versorgungsproblemen gegeben — ein Schlüsselbegriff für alle, die mit Rumänien-Tourismus zu tun haben.
Ion Robu, der im Tourismusbüro im transsilvanischen Brasov (Kronstadt) als Chef der Abteilung Unterbringung und Verpflegung auch für die Versorgung von Hotels und Restaurants zuständig ist, versichert ebenfalls: keinerlei Versorgungsprobleme, was die TouristInnen betreffe. An diesem Tag sind Milch und Butter in den Läden von Brasov Mangelware, an den Tankstellen die Dacia-Schlangen Hunderte von Metern lang, weil das Gerücht umgeht, die Benzinpreise würden erhöht werden. Tourismus bedeutet in Rumänien immer noch Pauschalreisen, und man hat genug damit zu tun, die Halb- und Vollpensionäre zu versorgen.
„Nach der Revolution“, sagt Robu, „wurden auch in Brasov mit vielen ausländischen Veranstaltern Gespräche geführt, doch das Interesse hat schnell nachgelassen, und die organisierten Reisen haben noch mehr abgenommen.“ Nicht nur der Westen bleibt aus, auch der Reiseverkehr aus den ehemaligen Ostblockstaaten ist eingebrochen. „Natürlich zahlen die jetzt lieber etwas mehr und fahren in den Westen.“
In Bukarest im Schatten des aberwitzigen Ceausescu-Palastes mit dem zynischen Namen „Haus des Volkes“ hängt an einem der neuen protzigen Gebäude das Schild „Tourismus-Ministerium“. Hier wurden seit dem Umbruch im Dezember 1989 immerhin schon fünf verschiedene Chefs verschlissen. Der erste von ihnen, der Architekt Mihail Lupoi, wurde in den Revolutionswirren angespült. Er soll zu schnell mit ausländischen Firmen Verträge abgeschlossen und sich mit der neuen Führung angelegt haben und hat längst das Land verlassen. Vor kurzem hat die regierende „Front zur nationalen Rettung“ das Tourismus- Ministerium zum „Departement für Tourismus“ degradiert und dem Handelsministerium angeschlossen. Dessen neueste Pressemitteilung spricht offen von einer „für viele Touristen unbefriedigenden Versorgungslage“, die in diesem Jahr durch massive Importe von Lebensmitteln und Getränken verbessert werden soll. Die wesentlichen Schritte zur Marktwirtschaft seien schon eingeleitet: Dezentralisierung, Privatisierung und ausländische Investitionen.
Die staatlichen Reiseunternehmen sind schon dezentralisiert und in 135 Handelsaktiengesellschaften umgewandelt. Gheorghe Serbu, Abteilungsleiter beim ehemals mächtigen Reiseunternehmen O.N.T. „Carpati“ (Nationales Tourismus- Büro) in Bukarest, bestätigt, es seien in den Tourismusgebieten viele neue kommunale Reiseunternehmen entstanden. Reiseziele sind neben der Schwarzmeerküste vor allem die Wintersportorte in den Karpaten, das Donaudelta, die Moldauklöster und die Hauptstadt. Neu sei, daß vor Ort Verträge mit ausländischen Reiseveranstaltern abgeschlossen werden könnten. Zum Beispiel würden im Wintersportort Poiana Brasov 80 Prozent der Buchungen direkt ablaufen und nicht mehr über den Umweg Bukarest.
Sein Unternehmen führt jetzt auch ein S.A. für Aktiengesellschaft im Namen. Doch die eigentliche Privatisierung steht erst noch bevor. Bisher ist der Staat alleiniger Aktionär der umgetauften Unternehmen. Den Tourismusunternehmen geht es wie den anderen Firmen: Alles hängt vom neuen Privatisierungsgesetz ab, gegen das die Opposition im Parlament angesichts der satten Zweidrittelmehrheit der Front vergeblich anrennt. Das Gesetz sieht vor, 30 Prozent der Staatsbetriebe an das Volk zu verteilen. Jede(r) soll Aktien bekommen, hat aber keinen Einfluß darauf von welchen Firmen. Die restlichen 70 Prozent jedoch bleiben für ein Jahr in Staatsbesitz und sollen dann auf Auktionen versteigert werden. Gheorghe Serbu vom O.N.T. meint, wenn er dann in einem Jahr Geld habe, werde er vielleicht in sein Tourismusunternehmen einsteigen. Radu Filipescu, bekannter ehemaliger Dissident und nun im Vorstand der im Juli neu gegründeten Partei der oppositionellen Bürgerbewegung Alianta Civicá, hat zwar nichts gegen Privatisierung, jedoch sieht er bei diesem Modus viele Möglichkeiten für die alte und neue Nomenklatura, sich in dem einen Jahr die besten Unternehmen auf Umwegen zuzuschanzen. Die Furcht ist groß bei der rumänischen Opposition vor den kapitalkräftigen ehemaligen Bonzen aus Partei und Securitate, die auf beiseite geschafftem Geld sitzen und die neuen Kapitalisten werden könnten.
Ohne ausländische Investitionen, das vermittelt auch das Departement für Tourismus, ist die dringend notwendige Renovierung und Modernisierung vieler Hotelkomplexe nicht zu schaffen. Seit März sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, doch die schwachen Zahlen im Auslandsgeschäft lassen auch künftig keinen Investitionsboom erwarten. Vereinzelt sind jetzt Joint- ventures zustande gekommen, beispielsweise bei Hotelbauten in Bukarest mit amerikanischen und österreichischen Firmen. Besonders stolz ist man auf das Joint-venture mit der Deutschen Lufthansa, mit deren Unterstützung der schon begonnene Ausbau des Bukarester Flughafens Otopeni beendet werden soll.
Der neu entstehenden Tourismusbranche wird fürs erste nichts anderes übrigbleiben, als auf Inlandtourismus zu setzen. Laut Gheorghe Serbu ist die Küste in diesem Sommer gut gebucht, trotz der angezogenen Preise. Private Läden, Restaurants und Cafés, die bis jetzt nur gepachtet werden können, sind für die RumänInnen ein Vorgeschmack auf den freien Markt. Dort ist das oft buntgemischte Angebot größtenteils importiert, die Bedienung freundlicher, doch die Preise, gemessen an rumänischen Löhnen, absurd. Ein(e) RentnerIn bekommt 2.000 Lei im Monat und kann dafür gerade mal zwanzig Cola aus Beirut trinken. Die vielen unkoordinierten Importe heizen die Inflation an. Schwarz gibt es für eine Mark schon über 100 Lei. Geld hätten auch weniger begüterte AusländerInnen genug, doch selbst für RucksacktouristInnen würde die gastronomische Infrastruktur, trotz der Privaten, noch nicht ausreichen. Auf eigene Faust unterwegs, ist es schwierig, akzeptable Restaurants zu finden, und zum Übernachten bleiben oftmals nur die wenigen großen, teuren Hotels, wo in Valuta abgerechnet wird.
Die Entwicklung im Auslandsgeschäft wird wohl hauptsächlich davon abhängen, wie lange sich im Westen das Negativ-Image Rumäniens hält. Da waren die vergangenen Wochen nicht gerade produktiv: Erdbeben, Überschwemmungen und Wartezeiten an der Grenze bei der Ausreise, die in Tagen angegeben werden müssen. Dazu kommt eine undurchschaubare Regierung, von der niemand so genau weiß, wie ernst sie es mit den Reformen meint. Da kann die Qualität des Sandes in Neptun für Kunstwerke aller Art noch so gut sein.
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