Homophobe Gewalt: Bislang kaum ein Thema

Das Berliner Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen lud zur ersten internationalen Fachtagung „Gewalt gegen Schwule und Lesben“/ Lesben eher als Randthema/ In den USA, aber auch in den Niederlanden ist die Bewegung wesentlich weiter  ■ Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) — Es geschah im Mai 1988 auf einer Wanderung durch die Appalachen in Pennsylvania. An einer einsamen Stelle schlugen Rebecca Wight und Claudia Brenner ihr Zelt auf und liebten sich. Sie wähnten sich alleine, hatten den Mann nicht bemerkt, der ihnen schon eine ganze Weile gefolgt war. Er beobachtete sie aus einem nur wenige Meter entfernten Versteck. Dann schoß er mehrmals. Rebecca Wight starb am Tatort, Claudia Brenner aber überlebte. Der Mörder konnte gefaßt werden. Vor Gericht gab er zu, daß er die beiden Frauen töten wollte, weil sie Lesben waren. Seine Strafe: Lebenslänglich.

„Hate crime“ werden in den USA Verbrechen genannt, die aus Haß und Vorurteilen gegenüber Menschen anderer Rasse oder anderer religiöser Orientierung begangen werden. In 26 Staaten, einschließlich Washington D.C., gibt es mittlerweile Gesetze gegen diese „Verbrechen aus Haß“, in 16 wurde — auf Druck der US-amerikanischen Schwulen- und Lesbenbewegung — inzwischen auch „sexuelle Orientierung“ in den Katalog der hate crimes aufgenommen. Die Gesetze jedoch variieren. Während in einigen Staaten die Strafverfolgungsbehörden lediglich verpflichtet sind, eine hate- crime-Statistik zu führen und regelmäßig zu veröffentlichen, ist in anderen die Strafe bei nachweislichen hate crimes deutlich höher bemessen, außerdem können die Opfer eine Zivilrechtsklage auf Schmerzensgeld oder Schadenersatz führen.

In der BRD ist an solche Gesetze (noch) nicht zu denken. Vor allem Schwule sind hier seit kurzem dabei, homophobe Gewalt überhaupt erst zu einem öffentlichen Thema zu machen — wie diese Woche auf einer dreitägigen internationalen Fachtagung zum Thema „Gewalt gegen Schwule und Lesben“ in Berlin. Eingeladen hatte das Berliner Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, verschiedene schwul-lesbische Organisationen und Projekte aus den USA, den Niederlanden, England und der Bundesrepublik schickten ReferentInnen. Mit dabei auch einige BeamtInnen der Berliner Kripo. Die Konferenzteilnehmerinnen: drei Viertel Männer.

Gewalt — kein Thema für Lesben? Durchaus, wie zum Beispiel Andrea Trogisch von der Berliner Lesbenberatung zunehmend festgestellt hat. Aber Gewalt gegen Lesben ist nicht so spektakulär, gerät, anders als Gewalt gegen Schwule, kaum an die Öffentlichkeit. Sie geht auf in den ganz „normalen“, weil alltäglichen Übergriffen auf Frauen. Ob Lesben aber anders und/oder häufiger Gewalt erleben als heterosexuelle Frauen, darüber gibt es in der Bundesrepublik bislang keine Untersuchungen.

In Holland sind sie da schon weiter. Dort wertet die Psychologin Diana van Oort von der „Interfacultaire Werkgroep Homostudies“ in Utrecht, derzeit eine großangelegte Befragung unter Lesben und bisexuellen Frauen zu ihren Gewalterfahrungen aus. Mehrere tausend Fragebögen wurden im ganzen Land verteilt. Über drei Viertel der Beantworterinnen (knapp 1.300) gaben an, Opfer — häufig mehrfach — von Gewalt geworden zu sein. Dabei bezogen die meisten die Taten gleichermaßen auf ihr Frau- und Lesbischsein, eine jeweils kleinere Gruppe ausschließlich entweder auf ihr Lesbisch- oder ihr Frausein.

Die meisten (rund 60 Prozent) nannten verbale Anmache, Drohungen, Beschimpfungen, rund 30 Prozent wurden sexuell angemacht, mißbraucht, vergewaltigt, 10 Prozent erlitten andere physische Gewalt. Die Tatorte: Straßen, Kneipen, Arbeitsplatz, Schule/Uni, Gesundheits- und Beratungseinrichtungen, Familie, (Ex-)PartnerInnenschaft. Die Ergebnisse der Befragung ähneln sehr den Erkenntnissen, die über Gewalt an Frauen allgemein inzwischen vorliegen. Ein besonderer und besonders heikler Punkt in der Untersuchung aber ist die Gewalt innerhalb lesbischer Beziehungen — ein Thema, an dem bisher noch kaum gerührt wird. Immerhin ein Drittel der Beantworterinnen machten dazu Angaben. Die meisten (über 60 Prozent) nannten psychische Gewalt (Drohungen, Erpressung), rund 30 Prozent aber auch physische, drei Prozent gaben sexuelle Gewalt an, darunter 15 Vergewaltigungen.

Auch die Verhütung und Verfolgung homophober Gewalt steckt hier noch in den Kinderschuhen. Während mancherorts in den USA schwul-lesbische Organisationen schon seit zehn Jahren Aufklärungsarbeit und Fortbildungsprogramme mit PolizeibeamtInnen durchführen, es Kommissariate gibt, die sich speziell mit Vergehen und Verbrechen gegen Schwule und Lesben beschäftigen, sind hier Kontakte und Kooperation mit der Polizei noch jung. Die Initiativen, meist von der schwulen Lobby ausgehend und in der community durchaus nicht unumstritten, zeitigen aber bereits Erfolge. So leistet sich die Berliner Kripo zum Beispiel einen Beamten, der nicht nur als Ansprechpartner für schwule und lesbische BeamtInnen, sondern auch als Kontaktmann für die Bewegung fungiert. Ein Fortbildungsseminar für PolizeibeamtInnen zum Thema Homosexualität, organisiert von den Berliner Lesben- und Schwulenberatungen, scheiterte jüngst jedoch am Geld. Die 5.000 Mark wollte das Polizeipräsidium nicht bezahlen.