Horn aus dem Kasten

Der glücklichste der deutschen Jazzer: Klaus Doldinger. Ein Interview  ■ Von Michael Berger

Seine wirklichen Erfolge feiert der Saxophonist Klaus Doldinger als Komponist. Kein deutscher Fernsehkrimi kommt mehr ohne Doldingers zupackende Intros aus. Wer die Tatort-Melodie kennt, kennt sein Handwerk, wer den Buchheim-Film Das Boot nicht nur gesehen, sondern auch gehört hat — Doldingers größter Wurf —, weiß, warum er Träger des Bundesverdienstkreuzes werden durfte („...dem deutschen Kulturleben im musikalischen Bereich wichtige, unüberhörbare Impulse gegeben“).

Er ist unter den deutschen Jazzmusikern der glücklichste. Deshalb braucht er einen Partner, der seiner Musik die Ingredienz des Verlierers beifügt, also den authentischen Blues. Früher waren es Alexis Korner und Buddy Gay, jetzt ist es Johnny Copeland. Blues Roots heißt die neue Platte.

Plattenaufnahmen und Konzertauftritte sind für den 55jährigen Klaus Doldinger längst nicht mehr Broterwerb. Er leistet sich seine Band „Passport“ nun im zwanzigsten Jahr, hat sie verjüngt (Robert di Gioia, Keyboards; Peter O'Mara, Gitarre; Jochen Schmidt, Baß; Ernst Ströer, Perkussion, und Wolfgang Haffner, Schlagzeug). Der Klangkörper, der einmal als „deutsche Antwort auf Weather Report“ gehandelt wurde, ist inzwischen festgefahren in der Stilrichtung, die Anfang der 70er Jahre den Weg aus der Freejazz-Sackgasse weisen sollte — die sogenannte Fusion-Musik, Rockjazz der konsumierbaren Art.

taz: Sie bemühen sich wieder um den Blues. Zwölf Takte, ein simples harmonisches Geschehen — Tonika, Subdominante, Dominante — Sie waren schon einmal wesentlich weiter in Ihrer musikalischen Entwicklung.

Klaus Doldinger: Der Blues ist keine Richtschnur dafür, wie weit ich bin, daran kann man nicht die Komplexität dessen messen, was ich spielen kann. Wichtig ist, daß das, was ich spiele, glaubhaft und künstlerisch gestaltet ist. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob es sich um ein vieltaktiges Werk handelt oder um eine ganz simple Form. Auch in der Malerei sind die simplen, prägnanten Formen oft eine größere Herausforderung für den Künstler, gleichzeitig sind sie besonders einprägsam.

Aber ist diese Musikform, die Sie pflegen, nicht längst in einer Sackgasse, gerade weil sie sich ausschließlich an überkommenen Formen orientiert?

Ich habe mit dem Rhythm and Blues kein Problem. Für mich geht es um die Lebendigkeit dessen, was ich tue, und um die Eigenständigkeit. Letztere kann eher gewinnen, wenn es einem gelingt, in einer übersichtlichen Form Musik zu entwickeln. Bei der Blues Roots-Produktion hatte ich nie das Gefühl, in eine Sackgasse zu geraten.

In der steckt aber doch die deutsche Jazzszene insgesamt. Die Cracks der 50er und 60er Jahre — Mangelsdorff, Dauner, Kriegel, Weber und auch Sie — stehen nach wie vor für den westdeutschen Jazz. Die Popularität, zu der es die Alten gebracht haben, haben Jüngere nicht erreicht. Woran liegt's?

Keine Ahnung. Das interessiert mich auch nicht sehr. Klar ist, daß der Jazz innerhalb unseres Kulturgeschehens leider nicht den Stellenwert hat, der ihm gebührt. Es gibt Aktivitäten allenthalben, jedes Stadtkulturamt veranstaltet Jazzkonzerte und Workshops. Warum es Persönlichkeiten, die nach vorne preschen, in der jüngeren Generation nicht mehr gibt, weiß ich nicht.

Vielleicht weil die Plattenindustrie heute Experimente scheut wie der Teufel das Weihwasser?

Sicherlich. Mein Werdegang ist von der Schallplatte nicht zu trennen. Ich hatte 1962 einen Produzenten, einen jungen Mann, Siggi Loch, der hat mich damals sozusagen entdeckt. Das Album, das wir zusammen gemacht haben, Jazz - Made in Germany, machte Furore. Wir waren die ersten, die Jazz in Deutschland machten, der sich gelöst hatte von dem, was davor war. Davor gab es den Swing der alten Herrn, über den Krieg hinweg gerettet, dann gab es in der Nachkriegszeit den Traditional Jazz, dann den Cool Jazz. Der war akademisch und unterkühlt. Wir aber waren die ersten, die im Quartett — mit Hammond-Orgel — einfach loslegten. Das erste Stück war ein Blues. Das Album hat auch deshalb Furore gemacht, weil meine Musik im Vergleich zu der der anderen Jazzmusiker konkreter, greifbarer war. Gleichzeitig wurde ich auch besser vermarktet.

Wie geschah das?

Meine wichtigsten Platten dieser Jahre erschienen in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift 'Twen‘. Sie wurden sehr gut promotet, aber das Produkt war auch hervorragend. Immerhin so gut, daß die Deutsche Grammophon eines meiner damaligen Alben — Doldinger in Südamerika von 1965 — heute wieder auflegt.

Heute machen Sie eine krisenfeste, Mode-resistente Musik. Geht nichts anderes mehr?

Es könnte durchaus sein, daß ich demnächst eine Platte mache, die ganz modisch ist. Warum sollte ich nicht mal eine Hip-Hop-Geschichte einspielen?! Ich gehe mit diesen Dingen ohnehin als Komponist und durch meine Arbeit im Studio ständig um. Ich beherrsche dieses Metier.

Sie würden damit der Tatsache Rechnung tragen, daß Innovation nicht mehr im Jazz, sondern in der Popmusik stattfindet.

Innovation ist ein viel mißbrauchtes Wort. Wo kann wirkliche Innovation nach John Coltrane, Ornette Coleman, Pharao Sanders noch stattfinden? Die Form ist vielleicht für den Musikwissenschaftler ein Thema, für mich als Musiker aber nicht. Ich nehme mein Horn aus dem Kasten und spiele, und das muß es dann sein. Ich kann nicht lang darüber nachdenken, ob ich das schon hundertmal gespiel habe. Es muß aus mir herausfließen, dann gibt es eine ehrliche Aussage.

Wichtiger als das Hornspielen ist Ihnen seit Jahren schon das Komponieren von Filmmusik.

Wichtiger als künstlerischer Output sicher nicht. Aber meine Filmmusikarbeit ermöglicht es mir, ein eigenes Tonstudio zu haben. Auch ist dies eine tolle Ergänzung in künstlerischer Hinsicht, die mich immer wieder auf total andere Dinge bringt — ich habe beispielsweise gerade für das ZDF Bilder, die Geschichte machten vertont. Ich kenne keinen Musiker, der mich nicht darum beneidet, die wollen alle genau das machen. Es gibt Musiker, die spielen Monate und Jahre immer in den gleichen Klubs, mit den gleichen Leuten, haben immer das gleiche Publikum. Das kann sehr desillusionierend sein.

Tourneedaten von Klaus Doldingers Passport mit Johnny Copeland: 22.10. Aschaffenburg, 23.10. Frankfurt, 24.10. Bayreuth, 25.10. Wien, 26.10. Telfs/ Tirol, 27.10. Graz, 28.10 Nürnberg, 29.10. Tuttlingen, 30.10. Basel, 31.10. München, 2.11. Siegen, 3.11. Bochum, 4.11. Münster, 5.11. Kiel, 6.11. Hamburg, 7.11. Berlin, 8.11. Köln, 9.11. Aachen, 10.11. Düsseldorf.