Wissenschaftler: Tiefflug macht krank

■ Adrenalin-Ausstoß erhöht sich auch bei Schlafenden/ Kein neues Fluglärmgesetz

Berlin/Offenbach (dpa/taz) — Nächtlicher Fluglärm läßt den Adrenalin-Spiegel mächtig in die Höhe schnellen. Das beweisen Untersuchungen der Technischen Universität Berlin, die in einem Symposium über „Lärm und Krankheit“ am letzten Freitag in Berlin vorgestellt wurden. Bei den Versuchspersonen, die sich zehn Nächte in einem Schlaflabor der Universität Tonband-Fluglärm um die Ohren sausen ließen, erhöhte sich der Ausstoß des Streßhormons Adrenalin. Obwohl die Schläfer den Lärm (55 bis 75 Dezibel — ein „leiser“ Airbus in 500 Meter Höhe bringt es auf 75 Dezibel) nicht bewußt wahrnahmen, reagierte ihr Körper. Am schwierigsten ist plötzlicher Tieffluglärm zu verkraften. Hartmut Ising vom Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamtes (BGA) berichtete, daß bei einer Lautstärke von 125 Dezibel zuerst bei Tieren bleibende Hörschäden aufgetreten sind. Eine epidemiologische Untersuchung fand heraus, daß die Bevölkerung in Tieffluggebieten überdurchschnittlich häufig unter Hörschäden und Ohrenschmerzen leidet. Kinder waren dabei eher gefährdet als Erwachsene. Zwar wurde im September des vergangenen Jahres die Mindestflughöhe für Militärflugzeuge (auch für alliierte Flieger) auf 300 Meter angehoben, aber selbst da seien Lautstärken von 113 Dezibel gemessen worden.

Daß der Fluglärm in der Reihe der Lärmbelästigungen gleich nach dem Straßenlärm kommt, weiß auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) zu berichten. Bei einem Symposium „Luftverkehr 2000 und Umwelt“ in Offenbach führte er an, daß sich „53 Prozent der Bundesbürger durch zivilen und militärischen Fluglärm belastet und belästigt fühlen“. Trotzdem erteilte er einer Neufassung des Fluglärmgesetzes eine Absage. Gegenwärtig würden zwar Argumente für eine Änderung im Bereich Lärmgrenzwerte gesammelt, eine Gesetznovellierung sei jedoch nicht vorgesehen. Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm, Veranstalter des Offenbacher Symposiums, forderte dagegen eine dringende Neufassung des Fluglärmgesetzes. Das geltende Paragraphenwerk aus dem Jahre 1971 hinke den heutigen Gegebenheiten weit hinterher, betonte Kurt Oeser, Vorsitzender der Bundesvereinigung. Beispielsweise sei der militärische Tiefflugbetrieb bisher weder im Fluglärmgesetz noch irgendwo anders geregelt, erklärte Oeser. Als größtes Problem für die Bevölkerung in der Nähe von Flughäfen bewertete Oeser Nachtflüge. Sie sollten deshalb so weit wie möglich eingeschränkt, ihre Reduzierung aber auch gesetzlich festgeschrieben werden. Im Fluglärmgesetz sei außerdem die Lärmgrenze beim Einbau von Lärmschutzfenstern von 55 auf 50 Dezibel zu senken, forderte Oeser.