Die Webstühle sollen als Denkmäler weiterklappern

■ In Geltow, einem Ort nahe Potsdam, klappert im einstigen Tanzsaal ein Webstuhl/ Seit 1938 wohnt hier die achtzigjährige Weberin Henni Jaensch-Zeymer/ Muster und Designs, entworfen von einer Altmeisterin/ Hoffnung auf die Erhaltung der als Denkmal geschützten Werkstatt

Wenige Kilometer südwestlich von Potsdam liegt Geltow. Kurz vor dem Ortsausgang steht, geduckt in quittengelbes Blumengestrüpp, ein altes Haus. Seit 1938 wohnt hier die Weberin Henni Jaensch-Zeymer. In ausgebeultem Wollpullover und abgeschabter Kordhose schlendert die schlanke Frau, der man nicht ansieht, daß sie weit über achtzig Jahre alt ist, durch ihr großzügiges Reich.

Die junge Henni hatte sich zunächst ein Jahr lang auf der Lichterfelder Kunstgewerbeschule mit kubistischen Entwürfen gequält. Erst nach der Wanderschaft wurde ihr klar: »Ich werde Weberin.« Fortan lebte sie in einer Handwerkersiedlung bei Neuruppin, wo sie bei der Bauhausschülerin Else Mögelin in die Lehre ging. Später wurde ihr die eigene Werkstatt zu eng. Auf der Suche nach einem geräumigen Gebäude stieß ihr Mann auf die verlassene Gastwirtschaft in Geltow.

Einsam klappert im einstigen Tanzsaal ein Webstuhl. Blitzschnell jagt das Schiffchen hin und her, Faden reiht sich an Faden. Die Füße auf hölzernen Tritthebeln, dirigiert Ulla Schünemann das Auf und Ab der Schäfte.

Die Einrichtung eines Webstuhls dauert vier Tage

Die Leinenfäden werden zum Gerstenkornmuster verschlungen — entworfen hat es die Altmeisterin und Hausherrin vor gut 50 Jahren. Immer wieder besinnen sich die Weberinnen bei der Gestaltung der Tischdecken, Ponchos, Gardinen, Möbelstoffe und Schals auf die alten Ideen. Leinen-, Wolle- und Baumwollgarne in schlichten Herbstlaubtönen werden bevorzugt.

Doch bevor eine Tischdecke aus dem Webstuhl kriecht, muß das Muster auf kariertem Papier genau festgehalten, die Anzahl der Litzen und Fäden berechnet werden — eine »Patrone« wird gezeichnet. Danach werden dann von Hand rund 800 Fäden eingezogen. Die Einrichtung des Webstuhls kann vier oder fünf Tage dauern.

Ulla Schünemann geht das leicht von der Hand. Sie sei, bekennt sie schmunzelnd, bei Henni Jaensch »unterm Webstuhl aufgewachsen«. Die Ausbildung zum »Facharbeiter für Webtechnik« war nur noch der notwendige erste Schritt auf dem Weg zur Meisterin. 1987 übernahm die junge Weberin die Werkstatt. Anfangs lief das Geschäft gut, beinahe zu gut. Die acht Angestellten konnten die Wünsche ihrer Kunden — das waren vor allem die Galerien des staatlichen Kunsthandels und diverse Kunstgewerbeläden — kaum erfüllen. Um wenigstens fünf Stück der begehrten Ware zu erhalten, bestellten sie in der Regel das Zehnfache. Auf Leinengardinen mit durchbrochenem Muster wartete mancher Liebhaber fast ein Jahr lang. Befriedigend, erinnert sich Ulla Schünemann, war diese »Massenproduktion« nicht.

Erst nach der Wende kam sie zum Luftholen. Die Freude darüber war kurz, denn schließlich blieb nur noch eine Handvoll Abnehmer übrig. Sich mit dem »Leinenzeugs auf irgendeinem Markt mittenmang des Gemüses« zu stellen, das ging für sie einfach nicht. Sie mußte alle Kollegen entlassen. Dankbar nahm die Weberin das Angebot der Handwerkskammer an, auf einer kleinen Messe in Potsdam ihre Kollektion zu zeigen. Neugierig und erstaunt — »Das es so was noch gibt!« — verharrten die Besucher vor ihrem Stand. Doch Bestellungen gingen kaum ein. Wahrscheinlich sind den meisten 70 Mark für eine große Tischdecke zuviel.

Soll nun nach sechzig Jahren Schluß sein mit der Handweberei in Geltow? Ulla Schünemann setzt ihre Hoffnung in die Erhaltung als denkmalsgeschützte Werkstatt. Eine Westberliner Künstlerin hat die Behördengänge auf sich genommen. Die Gemeinde will die Trägerschaft für dieses Projekt übernehmen, die Weberinnen sollen über ABM bezahlt werden.

Henni Jaensch-Zeymer gefällt diese Aussicht. Sie selbst hat sich zum Schneidern in ihr Atelier zurückgezogen. Aus handgewebten Stoffen in kräftigen Lila- und Blautönen fertigt sie Mäntel und Hemden. Doch sie frönt noch einer anderen Leidenschaft: Seit rund 30 Jahren lädt sie immer in den Wintermonaten gute Freunde und Bekannte zum Konzert. In dem riesigen Raum, wo früher Bier ausgeschenkt wurde und dampfende Bratkartoffeln auf den Tisch kamen, können sich ihre Gäste in bequemen Couchs und Sesseln niederlassen und dem Spiel professioneller Orchestermusiker lauschen. Der »Konzertsaal« gleicht einer Requisitenkammer: neben dem Flügel steht ein uralter Webstuhl. Sanft streicht die Hausherrin über das Holz: »Ein Webstuhl ist wie ein Musikinstrument — man muß ihn einspielen.« Es wäre gut, meint sie, wenn die Webstühle nicht als nutzlose Staubfänger in ihrem Haus stehen, sondern als lebendige Denkmäler weiterklappern. Irina Grabowski