Die »harmlose« Keramik der Bollhagen

■ Die Keramikfabrik Marwitz bei Henningsdorf ist unter Restauratoren wegen der kunstvoll modellierten und gebrannten »Ersatzteile« bekannt/ Geburtsstätte des Bollhagen-Geschirrs/ Nicht Geschmack, der Geldbeutel entscheidet den Absatz

Mit kräftigen Handschlägen wird sie getätschelt, bis alle Luft aus ihr entwichen ist, dann in die Form geklatscht und mit Fausthieben verteilt. Weich und geschmeidig läßt sich die gelbe Tonmasse zum Ziegel formen. »Meine Hand für mein Produkt«, schmettert der Keramiker eine Losung aus sozialistischen Zeiten und verzieht das schweißnasse Gesicht zu einem breiten Grinsen. Stolz zeigt er auf die edlen Steine, die für die ruinöse Marienkirche in Neubrandenburg bestimmt sind.

Die Keramikfabrik Marwitz bei Henningsdorf hat sich unter den Restauratoren gerade in den letzten Jahren mit kunstvoll modellierten und gebrannten »Ersatzteilen« einen Namen gemacht. Doch nicht die Steine für die Nikolaikirche und das Märkische Museum in Berlin haben sie eigentlich bekannt gemacht: Marwitz ist die Geburtsstätte des Bollhagen- Geschirrs.

Seit 1934 töpfert Hedwig Bollhagen, genannt »HB«

Die Töpferin Hedwig Bollhagen übernahm 1934 die stillgelegten »Havel-Werkstätten für künstlerische Keramik«. Mit den »aparten Kegelkannen« ihrer Vorgängerin Löwenstein, »weil sie mal ein paar Wochen im Bauhaus vorbeigeschaut hat und heute wieder ganz ‘in‚ ist«, hatte sie dabei nicht viel vor. Nachdem die Restbestände aus dem Rohlager gebrannt und verkauft waren, fertigte »HB« — wie sie jeder in der Fabrik nennt — ihre eigene Kollektion. Mit einem Teilhaber an der Seite, der ihr den lästigen Geschäftskram vom Leibe hielt, konnte sie sich voll den Form- und Dekorentwürfen widmen. Was herauskam, waren Teller, Tassen, Kannen, Vasen, Dosen in schlichter und zeitloser Form. Obwohl sie eine Vorliebe für die weiße, unbemalte Fayence hat, experimentierte sie zum Beispiel mit kobaltblauen und kupfergrünen Streifen, Netzen, Tupfern.

Gelernt hat Hedwig Bollhagen ihr Handwerk als junge Frau vor allem in der Steingutfabrik Velten-Vordamm. Der Chef des Hauses, Hermann Harkort, der sie als »Mädchen für alles« engagiert hatte, widmete sich dem Gebrauchsgeschirr als einer Synthese von Zweckmäßigkeit und künstlerischer Gestaltung. Zum Entsetzen der Liebhaber kitschig garnierter Gründerzeitkeramik hatte er unter anderen die Bauhaustöpfer Theodor Bogler und Werner Burri nach Velten geholt. Leider scheiterte die Fabrik, die in Deutschland zu den größten und modernsten der Branche gehörte, 1932 an der Inflation und dem Exportstopp. »HB« nahm die Kunstgewerbler — diese Bezeichnung hatte damals noch nicht den Beigeschmack von kolossalem Tineff — später in ihre Fabrik mit.

Die »harmlose« Keramik der Bollhagen überstand den Feldzug der Nazis gegen die »entartete Kunst« und auch die 50er Jahre, als unter Ulbricht die expressionistische und abstrakte Kunst in einer DDR-weiten Formalismusdebatte verdammt wurde. In dieser Zeit lief jeder private Unternehmer Gefahr, von den Einheitssozialisten mit teilweise fadenscheinigen Beweisen — was ließ sich damals schon legal beschaffen — wegen eines Wirtschaftsverbrechens hinter Gitter gesteckt zu werden. »HB« dachte ans Weggehen, doch sie konnte sich von ihrer »Bude« nicht trennen.

Anfang der 70er Jahre wurde die Fabrik mit allen 80 Beschäftigten zum Volkseigentum erklärt und später, auf Vorschlag des Kulturministeriums, dem staatlichen Kunsthandel zugeordnet. Fortan war Keramik mit dem »HB«-Signum fast nur noch unter dem Ladentisch zu bekommen.

»Segnungen der Planwirtschaft« und Sprung auf den Markt

Hedwig Bollhagen blieb als künstlerische Leiterin die Seele der Firma. Im blau-weiß karierten Kittel, die grauen Haare im Nacken zu einem Knoten gebunden, schaut sie unermüdlich nach dem Rechten. In letzter Zeit mußte sie viele Besucher durch die verwinkelten Werkstätten lotsen. Geduldig und mit feinem Humor erträgt sie ihr Schicksal, bekannt zu sein »wie ein bunter Hund«. Wichtige Station dieser Rundgänge ist die Werkstatt des Modelleurs — der Ursprung aller Formgebung. Arno Röger, der seit über 30 Jahren in Marwitz arbeitet, tüftelt nach den Skizzen der Bollhagen die Modelle und Formen aus. Aus neun Teilen besteht zum Beispiel die Gießform für eine einfache Mokkakanne. Doch bevor der flüssige Tonschlicker dort hineingegossen werden kann und von den Gipswänden angesaugt zum Gefäß »erstarrt«, müssen komplizierte Berechnungen vorgenommen und mit handwerklichem Geschick in Formen umgesetzt werden.

Voller Ironie erzählt »HB« von den »Segnungen der Planwirtschaft«. Der Export war ihnen verboten. Der Kontakt zu den Kunden nach Westdeutschland mußte abrupt abgebrochen werden. Über den dringend benötigten Neubau einer Werkstatt wurde viel philosophiert. Zehn Millionen Mark seien in die »Kritzeleien« der Projektanten geflossen, aber nichts passiert. Völlig aus den Fugen geraten war das Verhältnis der Löhne und Preise. Jetzt, wo die Marwitzer Manufaktur, verwaltet von der Treuhand, am seidenen Faden der Marktwirtschaft hängt, rächt sich das. Die Belegschaft ist auf 35 Angestellte geschrumpft. Gute, vor allem junge Spezialisten, die man eigentlich halten wollte, sind gegangen: fünf Kilometer Luftlinie weiter lauern dreimal höhere Löhne. Mit ihren 84 Jahren, so Hedwig Bollhagen, sei sie zu alt, um die Fabrik wieder zu übernehmen. Sie wolle nicht noch den letzten »Vereinigungsgroschen« dort hineinstecken, denn nur mit umfangreichen Investitionen — der Kohlebrandofen sei ein »hoffnungslos altmodisches Exemplar« — könne man überleben. Die Auftragsbücher für Baukeramik zum Beispiel sind voll, aber die Kapazitäten begrenzt.

Eine glückliche Hand hatte die »HB« vor kurzem mit von ihr bemalten Einzelstücken. Auf einer Verkaufsausstellung in Bad Godesberg gingen die Stücke, die sie sich nach Feierabend abgerungen hatte, ungeachtet saftiger Preise weg »wie warme Semmeln«. Ihre bisherigen Stammkunden — die Galeristen — würden natürlich »murren«, weil auch das in Serie gefertigte Geschirr teurer wird. Doch bei steigenden Material- und Energiekosten, das sehen die Abnehmer ein, bliebe sonst nur die Pleite. Ob sich die Einsicht »teurer oder gar nichts« auch in Verkaufszahlen niederschlägt, weiß Hedwig Bollhagen nicht. Sorgenvoll sieht die Verfechterin einer preiswerten Gebrauchskeramik, daß sich der Absatz entgegen ihrem ursprünglichen Konzept nicht mehr nur vorrangig am Geschmack der Interessenten entscheidet, sondern auch an ihrem Geldbeutel. Irina Grabowski