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Systemgefährdent-betr.: "Heilt Hoyerswerda" von Mathias Bröckers", taz vom 24.9.91

betr.: „Heilt Hoyerswerda“ von Mathias Bröckers, taz vom 24.9.91

Der Artikel hat mir aus der Seele gesprochen — und mich sprachlos gemacht. Vor Verblüffung. Weniger der etwas schmerzenden Verallgemeinerung wegen — ich bin auch Ex- Zoni, habe aber an der „Come-together“-Werbung eigentlich nur den Glimmstengel auszusetzen und hätte ihrer auch nicht bedurft —, als vielmehr der frappierenden Lösung wegen, die Bröckers, wohl in ätzendem Sarkasmus, anbietet.

Ich glaube nämlich, sie ist mehr wert, als es zunächst scheint. Zunächst einmal bin ich der Ansicht, daß rassistischer oder überhaupt auf willkürlich ausgewählte Menschen und Menschengruppen gerichteter Terror eigentlich so ziemlich das schwerste Verbrechen überhaupt ist, namentlich in dieser faschistoiden Form, wie wir ihn gegenwärtig (und nicht nur hier) erleben müssen. Der deutsche Gesetzgeber sieht das allerdings scheinbar nicht ganz so.

Nun ist das Strafrecht sowieso das letzte Mittel, dieser Erscheinungen Herr zu werden, aber in diesem besonderen Falle ist auch die Art der angedrohten Strafe völlig ungeeignet. Haftstrafe führt nur dazuk, daß die Szene im eigenen Saft weiterkocht.

Und in diesem Zusammenhang ist die Idee Bröckers‘ für meine Begriffe geradezu genial: Es wäre für diese Verbrechen (Völkermordversuch unter Bildung terroristischer Vereinigung) eine spezielle Verbannung einzuführen. Die Täter werden einzeln mit einem geringen Tashcengeld in Entwicklungsländer, die sich zu einer solchen Aufnahme bereiterklären, deportiert und dort — unter Aufsicht spezieller Beamter der deutschen Vertretung — einige Monate oder Jahre zum Überleben gezwungen — unter den gleichen Bedingungen wie die dortige Bevölkerung. Wahlweise könnten sie auch an Entwicklungshilfeprojekten mitarbeiten. Die Verbannungszeit muß so bemessen sein, daß sie zwangsläufig mit der Bevölkerung in Kontakt kommen und deren Sprache erlernen müssen. Die aufgewendeten Gelder für diese Lösung würden nicht nutzlos im Strafvollzug versickern, sondern denEntwicklungsländern in mehrfacher Weise zugute kommen. Einen solchen Aufenthalt, der zwangsläufig mit einem Kulturschock verbinden ist, übersteht niemand, ohne gründlich seine Weltsicht verändert zu haben.

Doch gerade darin besteht wahrscheinlich die geringe politische Chance dieser Idee: Die Rückkehrer könnten eine neue Sicht auf ihr Heimatland und dessen Rolle in der Welt mitbringen, vielleicht gar ein solidarisches Verständnis zu ihren früheren Opfern entwickelt haben, und das wäre ja geradezu systemgefährdend. Dann müßte ja der Staat wirklich mit aller Härte des Gesetzes vorgehen... und wieder Zwietracht säen.

Nun, man sollte diese Idee dennoch zur Politikreife weiterentwickeln. Hier wäre eine Profilierungschance für die Grünen, statt auf der Asyldiskussionswelle mitzureiten.

Wer meint, die „Nur-Wirtschaftsflüchtlinge“ bräuchten lediglich in ihrer Heimat in die Hände zu spucken, um im Wohlstand zu schwimmen, soll es doch selbst versuchen. Wenn es gelingt, um so besser. Es wäre allen geholfen. [...] Kay Gürtzig, Ilmenau

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