Der „Fluch von Lokrum“: Wird die Armee sein neues Opfer?

■ Wer Herrscher über Dubrovnik sein wollte, wurde nicht selten mit dem Tode bestraft/ Bundesarmee bombardiert Kulturdenkmäler in ganz Kroatien

Nicht nur die Hunderttausende von Touristen, die Dubrovnik in jedem Jahr besuchen, haben von ihm gehört, dem „Fluch von Lokrum“. Auch den verschiedenen Herrschern der Adriastadt ist er nicht unbekannt. Er besagt: Wer immer sich anmaße, der weltliche Herrscher Dubrovniks zu sein, den treffe das Schicksal eines unnatürlichen Todes. Mönche der mittelalterlichen Republik Ragusa — die illyrische Bezeichnung für Dubrovnik — sollen diese Worte gegenüber dem Königtum Venedig ausgesprochen haben. Zu dessen Besitz gehörte Dalmatien — das heutige Kroatien — zwar jahrhundertelang, als Herrscher über Ragusa spielte es sich jedoch nie auf.

Der Fluch ereilte dagegen den Habsburger Herrscher Maximilian, auf seinem Zenit Kaiser von Mexiko. Er wollte sich Ragusa in sein Reich einverleiben. Kaiser Franz Josephs einziger Sohn Rudolf nahm sich in Dubrovnik das Leben, 1934 wurde König Aleksander von Jugoslawien in Marseille ermordet, nachdem er kurz zuvor die freie Stadt unter jugoslawische Verwaltung gestellt hatte. Deutsche Linke schließlich wissen, daß Gudrun Ensslins Ehemann Bernward Vesper seine „Reise“ hier beginnen ließ, bevor er den Freitod wählte.

Jetzt versucht die jugoslawische Generalität, Dubrovnik zu erobern. Niemand weiß, warum diese mit Abstand schönste Stadt Jugoslawiens seit zwei Tagen bombardiert wird. Denn Dubrovnik ist ein einziges Freilichtmuseum, die ganze Altstadt gehört laut den Unesco-Kriterien zu den Kulturdenkmälern der ersten, der wertvollsten Kategorie der Weltkulturschätze. Und Dubrovnik hat außer seiner erhaltenen frühmittelalterlichen Architektur nichts zu bieten. Keine Industrie, keine Rüstungsbetriebe, keine Militärbasis, die die Soldaten der jugoslawischen Bundesarmee von den kroatischen Nationalgardisten zurückerobern könnten. Verwaltungsmäßig gehört das kleine Städtchen seit dem Zweiten Weltkrieg zur Republik Kroatien. Doch ist dies allein der Grund, warum die jugoslawische Bundesarmee diese Stadt erobern möchte? Ist sie als Faustpfand für spätere Grenzverhandlungen gedacht, oder soll sie einem neuen serbischen Staat einverleibt werden?

In Dubrovnik fragt man sich, was dieser Wahnwitz soll. Der örtliche Radiosender, dessen Programme seit gestern unterbrochen sind, funkte noch am Mittwoch einen pathetischen Hilferuf: „Europa, unser Freund, euer Dubrovnik, eine dreitausend Jahre alte Stadt, verschwindet unter den serbokommunistischen Stiefeln. Europa, wir suchen, wir bitten um Hilfe!“ Seitdem verstummte der Sender, ist die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten, brach die Strom- und Wasserversorgung zusammen, sind Telefon- und Funkleitungen gekappt. Im alten historischen Stadtkern sollen Zehntausende Menschen aus umliegenden Gemeinden vor den Angriffen der Armee Schutz gesucht haben, nachdem Radio Beograd von 700 Toten sprach, die im Umland von Dubrovnik bei Kämpfen ihr Leben gelassen hätten. Eine Zahl, die nicht zu verifizieren ist. Denn das offizielle Zagreb schweigt zu den dramatischen Ereignissen, um nicht eine noch größere Panik in der Bevölkerung aufkommen zu lassen. Dennoch läßt sich kaum noch verhindern, daß immer ausführlicher darüber berichtet wird, daß die kroatische Nationalgarde bei den Kämpfen um Dubrovnik am Donnerstag zusehends unter Druck geraten ist. Das kroatische Fernsehen meldete, die Truppen verteidigten ihre Stellungen zwar „energisch“, hätten aber „Probleme“ und warteten auf Verstärkung.

Denn von Panik erfaßt ist seit gestern nicht nur Dubrovnik, sondern auch andere alte dalmatinische Küstenstädte wie Split, Zadar, Sibenik und Pula. Städte, in denen bereits bei früheren Angriffen der jugoslawischen Kriegsmarine Burgen, Kirchen und Museen in Schutt und Asche gebombt wuden. So brannten mehrere Gebäude der Burg Eltz bei Sibenik Ende September ab, altgotische Kathedralen in Zadar und Split wurden schwer beschädigt. Der kroatische Kulturminister Vlatko Pavletic beziffert den Schaden an Kulturdenkmälern auf mehr als 8 Milliarden Mark. Über 160 Kulturdenkmäler, darunter 71 kroatisch- katholische Klöster und Kirchen, seien mehr oder minder stark beschädigt. Pavletic bezeichnet des weiteren den Vorwurf der Bundesarmee, kroatische Nationalgardisten verschanzten sich bewußt in Kirchen und anderen kulturhistorisch wertvollen Gebäuden, als „üble Propaganda ohne Wahrheitsgehalt“. Man habe ausdrücklich die strikte Order erteilt, „auf keinen Fall die Kulturdenkmäler Kroatiens in Gefahr zu bringen“. Anzeichen dafür, daß die Bundesarmee tatsächlich kroatische Kulturgüter zerstören möchte, gibt selbst General Stevan Mirkovic zu. Kroatien habe in den letzten Jahrzehnten Dutzende orthodoxe Kirchen der serbischen Minderheit in der Republik geschlossen, orthodoxe Priester verfolgt und Serben „zwangskatholisiert“. Ein Unrecht, das gesühnt werden müsse, so der General, der zum 16köpfigen Kommandostab der Bundesarmee gehört. Roland Hofwiler