Vom Schutt- zum Schankplatz »Friseur in der Kronenstraße 3 in Mitte

Vor gut zwei Wochen hat in der Kronenstraße 3 ein neues Café aufgemacht. Mit dem sogenannten »Friseur« ist neben dem »WMF« , einem Danceclub in der Leipziger und der »Brasilian Bar« in der Mauerstraße ein weiteres Lokal entstanden, daß dem Bezirk Mitte zumindest Nachts neues Leben einhaucht. Angesichts der jüngsten Kneipenkonzentration in dem sonst eher unbelebten Berliner Zentralbereich sprach der private Fernsehsender RTL gar von einem neuen »kulturellen Bermudadreieck« in Berlin. Über der Eingangstür des Cafés, wo sonst Schultheiß oder andere Brauereien Leuchtwerbung machen, hängt beim Friseur eine zur Lampe gewandelte gewandelte Trockenhaube. In den Fenstervitrinen sind Bilder von Models und ostschicken Frisuren ausgestellt aber auch innen erinnert noch so manches an die haarige Vergangenheit des Etablissements. So blieben beispielsweise ein paar Frisierstühle als Sitzplätze erhalten, und an den Türen zu den hinteren Räumen prangen noch immer die Lettern Herren-Salon, Damen-Salon.

Noch bevor sich der Sozialismus in der DDR entfalten konnte, befand sich hier, in dem ehemaligen Berliner Botschaftsviertel, ein Exklusivfriseur mit insgesamt 36 Angestellten. In einem mit Marmor ausgestatteten Separée war früher ein Schnittplatz untergebracht, der prominenten gästen vorbehalten blieb. Bis zum Mauerbau liße sich unter anderem die Schauspielerin Inge Meysel in der Kronenstraße frisieren. Heute freilich dient die Prominentenbox als Tresenbereich, und hier können die Getränke bestellt werden, die im Friseur allemal billiger sind als in den nahen In-Clubs »Tresor« und »WMF«. Mit einem Portrait der »Mutter der nation«,daß über den Flaschenregalen aufgehängt wurde, huldigt auch die neue Cafécrew, nicht ohne Stolz,, der renomierten Vergangenheit des Hauses.

Offiziell ist der Friseur Vereinssitz für die »Botschaft e.V.«, einem zehnköpfigen Verein, der erst kürzlich mit der Ausstellung »Mäusegang« im U-Bahnhof Stadtmitte und der Veranstaltung des »Electronic- Art-Syndrom«, einer vielbeachteten Schau in Sachen Computerkunst, von sich Reden machte. Gefunden hatte sich der Verein bereits im Dezember 1989, als die Mitglieder gemeinsam den ehemaligen Geschäftssitz der Besteckfirma WMF besetzten. Da sich die »Botschafter« aber auch in ihrer neuen legalen Dépendance weiter als »Forum für interdisziplinäre Arbeiten« verstehen, sind auch in Zukunft neben den normalen Öffnungszeiten (Mi-Sa 20-? Uhr) etliche Sonderveranstaltungen zu erwarten. Bereits zur Eröffnung des Friseurs, nach einer zweimonatigen Renovierungsphase, haben in Café und den Hinterräumen Festivitäten und Vorführungen des internationalen Film- und Videofestivals »VIP- Film Neun« stattgefunden. In Planung ist außerdem eine Antifaschismus-Reihe. Andreas Kaiser