: Hallo, hallo Michail
Kohl: Hallo, hallo Michail, wie geht es dir. Ja, ich freue mich auch, daß ich deine Stimme höre. Ich habe dich heute anrufen wollen und auch Gott sei Dank getroffen, um einfach an diesem Tag noch einmal zurückzublicken auf die Zeit vor einem Jahr. Und an den Tag zu erinnern, an dem wir die deutsche Einheit gewonnen haben.
Wir haben in Deutschland, Michail, einen Spruch, der heißt: Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens. Zur Dankbarkeit gehört, daß wir und ich mich vor allem daran erinnere, daß wir auch mit deiner Unterstützung und der Unterstützung deiner Mitarbeiter und deines ganzen Volkes die Einheit gewonnen haben. Und daß nach all dem, was in diesem Jahrhundert geschehen ist, dies doch eine wunderbare Sache ist, daß wir den Weg gemeinsam in die Zukunft — in eine friedliche und freiheitliche Zukunft — gehen.
Gorbatschow: Helmut, ich teile deine Auffassung voll und ganz und bin wirklich sehr froh, daß wir am Jahrestag dieses großen Ereignisses der deutschen Einheit dieses Gespräch miteinander führen. Ich möchte natürlich bei dieser Gelegenheit dem Bundeskanzler, seinem Kabinett und allen Deutschen zu diesem ersten Jahrestag der deutschen Einheit gratulieren. Die Ereignisse der letzten zwölf Monate haben bestätigt, daß wir für Deutschland, die Deutschen, aber auch für die Geschichte des ganzen Europa einen enormen Durchbruch erzielt haben. (...)
Die deutsche Einheit hat dazu geführt, daß auch unsere Beziehungen ein völlig anderes Niveau erreicht haben. Es ist wirklich eine ganz neue politische Zeitrechnung angebrochen.
Kohl: Weißt du, ich denke manches Mal, wenn ich die letzten zwei Jahre zurückverfolge, seit unserem Gespräch nachts am Rhein im Sommer 1989, das ist wirklich eine säkulare Veränderung der Welt.
Gorbatschow: Ja, ich stimme dir uneingeschränkt zu, denn hinter uns liegt wirklich ein besonderes Jahr. Ein Jahr stürmischer Ereignisse, aber woran wir gedacht und womit wir letzten Endes gerechnet haben, das ist nun Wirklichkeit.
Kohl: Es ist beinahe wie ein Traum, aber er ist Wirklichkeit geworden. Ja und ich hoffe, das geht auch alles seinen guten Weg bei dir zu Hause. Vor allem hoffe ich, daß ihr den Vertrag über die Republiken bald gut zusammenbringt, weil das für alles eine wichtige Voraussetzung ist.
Gorbatschow: Ja, weißt du, gerade gestern haben in Alma Ata zwölf Republiken (...) auf der Ebene der Regierungschefs ein Wirtschaftsabkommen paraphiert. Aber, lieber Helmut, ich möchte gerade an dem heutigen Tag meinen Dank zum Ausdruck bringen. Er gilt dir, der Bundesregierung und allen Deutschen für die Solidarität und das große Verständnis für unsere Probleme und die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit mit uns. Wir sehen das, wir spüren das und schätzen es sehr. Die gute Saat der Zusammenarbeit und Freundschaft, die wir beide gesät haben, ist nicht nur aufgegangen, sondern trägt inzwischen sogar Früchte.
Kohl: Vielen Dank, Michail. Grüße auch Boris Jelzin herzlich von mir und deine Frau. Und ich wünsche viel Glück, vor allem bei den schwierigen Entscheidungen der nächsten Wochen.
Gorbatschow: Vielen Dank, Helmut. Meine Frau Raissa Maximowna und ich möchten sehr herzlich dich und all deine Mitarbeiter sowie deine Frau Hannelore grüßen. Ich hoffe wie du, daß wir in Verbindung bleiben und weiterhin so gut zusammenarbeiten, wie wir vereinbart haben. Ich schätze diese Zusammenarbeit außerordentlich und möchte noch einmal dir, der Bundesregierung und dem deutschen Volk zu diesem großen Ereignis gratulieren. Auf Wiedersehen.
Kohl: Vielen Dank, auf bald, Wiedersehen.
(Von 'dpa‘ übermittelter Wortlaut eines Telefonats, Foto: Reuter)
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