Ausgerechnet Bananen

■ Joachim Herz inszeniert Ligetis „Le Grand Macabre“ in Leipzig

Alle tun, als wäre nichts gewesen“, schreibt der in Dresden rüde abgehalfterte Regisseur Joachim Herz im Einführungstext zu seiner Inszenierung des Grand Macabre von György Ligeti am Opernhaus in Leipzig. Fast alle tun so. Er freilich nicht. Er erinnert sich und sein Publikum, daß da doch etwas gewesen sein muß — ein mehr oder minder glückliches Pygmäenland. Aber das war einmal. Denn in der Zwischenzeit „wäre die Welt beinahe ein bißchen untergegangen“; aber das führte noch nicht einmal dazu, daß die handelnden Personen in sich gegangen wären, geschweige denn, daß sie belehrbar geworden wären. Auch in der ramponierten Welt wollen alle wie vorher und möglichst noch besser leben.

Keine Frage, Joachim Herz hat Ligetis Bühnenwerk, das 1978 in Stockholm uraufgeführt wurde und für eine kräftige Polarisierung des Publikums sorgte, als Schlüsselstück für die jüngere Geschichte seines Landes genommen. Doch solches Unterfangen erscheint von Anfang an verquer, weil diese seine von ihm kritisch geliebte DDR kein schönes Breughelland war — zumindest für die vielen nicht, denen keine gebratenen Tauben in den Mund flogen wie einer privilegierten Künstler-Kaste. „Vorbei das Paradies“ — mit dieser Formel faßt der Regisseur in Leipzig die dramatische Ausgangssituation von Ligetis Musiktheaterstück (und wohl auch seine Wahrnehmung der ihn umgebenden gesellschaftlichen Realität). „Zwei Parteien hadern miteinander, es herrscht Korruption und Vetternwirtschaft, die Bürger werden ausgenommen wie die genudelten Mastgänse.“ Und damit auf keinen Fall irgendwelche Mißverständnisse aufkommen können, teilte Professor Herz in einem Kommuniqué mit: „Etwaige Ähnlichkeiten originaler Texte mit Ereignissen der jüngeren Vergangenheit sind reiner Zufall. Zudem wurde von einer entsprechenden Lizenz des Autors diskret Gebrauch gemacht.“

Peter Sykoras Bühnenbild führte in das Land, wo die Bananen und andere visuelle Stilblüten reifen. Indem der Vorhang mit seiner Genußverheißung von Trauben, Melonen, Artischocken bis zum Schweinskopf und dem leckeren Leerdamer Käse weggezogen wird, taucht im Halbdunkel ein Stadtpanorama auf Kartons auf. Bei Lichte besehen, erweist sich dieses Inventar als 27 überlebensgroße Bananenkisten, aus denen Früchte unterschiedlichen Reifegrades quellen. So ist die Übergangszeit in ein denkbar plattes Bild eingeschlossen. In der Mitte ein Erdbegräbnis in Tiefschwarz, darauf der Astrologe Astradamos vor dem von Ligeti so geliebten Metronom, dessen Pendel von einem Auge Gottes gekrönt wird. Der von seiner Gattin arg dominierte Sternengucker sieht einen Kometen auf Breughelland, welches die Bühne darstellt, zurasen; niemand will die tödliche Gefahr jedoch wahrhaben. Das ziemlich surreale Treiben geht dem Knackpunkt zu: das Kind auf dem Fürstenthron gibt sich fortdauernd launisch; der Säufer Piet vom Faß trinkt nach besten Kräften; aus der Tiefe des Raums taucht Nekrotzar auf, der große Makabre — als Menetekel des Endes der Zeiten; die beiden Minister, gegenüber dem Fürsten wie gegen das Volk ein Herz und eine Seele, liegen sich im übrigen in den Haaren wie Möllemann und Waigel; indem sich ihr Schimpfalphabet dem Ende zuneigt, steigen sie über den Stinkstiefel zum Treuhändler, und bei W kommen sie — wer hätte es gedacht — zum Wendehals. Fast niemand lacht im Parkett, während auf der Bühne die Fröhlichkeit um so ausgelassener simuliert wird.

Joachim Herz wollte die schon etwas antiquiert anmutende Anti-anti- Oper Ligetis zum Zeitstück für das am Abgrund vorbeigeschrammte Mitteldeutschland promovieren. Manches wurde dabei eher entschärft. Das Liebespaar, das über heftiger Paarung den Weltuntergang verschwitzt, heißt im Original Clitora und Spermando, bei Herz — herzlich bieder — Amanda und Amando. Die Bühne ist, vor allem wenn der Astrologenhaushalt gezeigt wird, mit schrecklich viel Gelumbsch vollgestellt; es herrscht weithin jene Geschäftigkeit, die über viele Jahre die in der DDR ausgeprägten Inszenierungsstile kennzeichnete: dieser fast neurotische Beschäftigungsdrang.

Statt des zunächst angekündigten Leipziger Intendanten Udo Zimmermann leitete Volker Rohde die musikalische und geräuschhafte Unterfütterung der heiter-grotesken Szenenfolge, die in Leipzig weder ironisch leicht noch gallenschwarz und bitterböse geriet, sondern lau. Rechtschaffen moderat und wenig zupackend war auch die Musikzutat zum Spektakel, das wohl — und das darf nach einem halben Dutzend Grand-Macabre-Inszenierungen resümiert werden — nicht zu den stärksten Stücken des Musiktheaters in den letzten Jahrzehnten gehört. Leipzig leistete sich zum Saisonbeginn eine Herz-Kreislauf-Schwäche, von welcher das Haus am Augustusplatz bald genesen sollte. Frieder Reininghaus