Intelligente Elemente

■ »Element of crime« Sonntag abend im Cartier

... und alle, alle sind gekommen. Das Quartier war Sonntag abend — na, wie voll war es wohl? — dschungelvoll war es, qualmte, schwitzte, dampfte, tröpfelte und stank allerherrlichst aus allen Löchern und Ecken. Kein Wunder, drang es doch bereits bis in die hehren Feuilletonetagen Hamburgs und Münchens: die one and only Hauptstadtband ist geboren. Nach Lok Kreuzberg, Nina Hagen, Ärzten und Neubauten sind jetzt die »Element of crime« everybodys darling. Allerorten rühmt man ihre »Intelligenz«, ein völlig neues Kriterium der Popmusikkritik und auch, wie man weiß, nicht gerade eine Eigenschaft, die man Musikern spontan vorwerfen möchte; aber die Elemente, so heißt es immer wieder, seien »intelligent«. Da fragt sich die Trivialpsychologin natürlich sogleich, ob dies nicht notwendigerweise direkt zum berüchtigten Drama des begabten Kindes führen könnte, denn genau darunter leiden die ja: daß man sie ständig für »intelligent« hält, dem müssen sie dann dauernd nachkommen, und schwups! haben wir die Neurose. »Du mußt unbedingt mal mit dem Sänger darüber reden, was er für scharfe Bücher liest«, begeistert sich eine der Elemente-Förderer, Ex- Veranstalterin Monika Döring — ach nein, man ist ja schon froh, daß er es überhaupt tut. Und so aussehen, als ob er es täte, tut er schon. Überhaupt sehen die vier Jungs auf der Bühne alle ganz gesund drein und wirken, als seien sie früher Schüler eines radikaldemokratischen Internats gewesen, wo man ihnen rechtzeitig die nötige bürgerliche Abgeklärtheit gegenüber den Wirrungen und Grausamkeiten des Lebens vermittelt hat, und selbst ihre unauffällige Kleidung suggeriert — »Intelligenz«.

Wenn der Sänger nicht singt oder Trompete spielt, läßt er erst den Kopf und dann den ganzen Oberkörper nach vorne hängen, schwappt ein wenig mit dem Mikrophonständer vor und zurück und wartet geduldig zuhörend, bis er wieder dran ist.

Wenn der Sänger singt, bewegt er sich wie eine Mischung aus zu kompaktem Mädchen beim Ballett, die doch gern mal die Prinzessin in der Nußknackersuite tanzen würde und einem souveränen niederbayerischen Pastor, der die aufsässigste Gemeinde Süditaliens zugewiesen bekam und nun dort seine chaotischen Schäfchen mit freundlicher Resignation und ausgebreiteten Armen zusammenhalten muß. Wenn der Sänger singt, meint man manchmal den alten Franz Josef Degenhardt zu hören — den scharf akzentuierenden Barden, der mit schneidig flachem Timbre Sätze wie »kleiner Vogel flieg, Blaulicht und Zwielicht und ein kleines bißchen Krieg, jaja, ich liebe dich« herausschunkelt und -zischt gleichzeitig. Dann erlebt man in all den furchterregenden gegenwärtigen Zeiten das andere Deutschland. Nicht das schwerblütige, pathetisch tiefgründige — das hört man nur, wenn er seine viel zu kurzen Trompetensoli einschiebt. Da läßt er den Klischees von Melancholie, Verschmelzungstrunkenheit, Weltraum, Liebe, Ozean und Horizont ungehemmt das freie Gleiten, um es doch wieder gleich - sehr »intelligent« arrangiert — mit lässigem Rhythmus und Gitarrengeschrammel zu brechen. Kein sicheres Kleinkindgewiege ist erlaubt, kein ekstatisches Kopfschütteln, kein bedröhntes Wegfliegen — nur manchmal, wenn er seine Hommage an Helga Feddersen singt, dann dürfen wir eine klitzekleine Träne wegdrücken, denn schließlich: »Niemand ist gern allein, mitten im Atlantik«. Das Deutschland der kriminellen Elemente liegt zwischen der Mutlosigkeit von einem, der in den Keller geht und weiß, daß er jetzt zwei Kohlentragen bis in den vierten Stock hochschleppen muß, und dem sexy Zynismus von Heiner Müller. (Wir wollen jetzt mal nicht auf ihre unselige Brecht-Liebe zu sprechen kommen, nicht weil wir diese ganzen Surabaya- Jonnys nicht auch nett finden, aber es muß ja nicht immer die Dreigroschenoper sein...) Verhaltene Leidenschaft, zärtlich unterkühlte Zuneigung, ironische Heiterkeit, achselzuckendes Begreifen — und darunter sehr unaufdringlich die Trauer, der Zorn, die Sehnsucht, die Hoffnung, das Mitgefühl.»Ich weiß, auch du lebst allein und dich frißt das auf, und das ist noch rein gar nichtzzzzz — komm rüber hier, ich kitzel dich — mal sehn, ob du lachst —«, da muß man erst mal drauf kommen, das ist die Liebe, nicht in den Zeiten der Cholera, aber schon nah dran, im vereinigten Deutschland.

Wenn er englisch singt, wird es unangenehm deutsch und erinnert an die Darsteller von gerade sich möglicherweise läuternden Teutonen in Hollywoodfilmen aus der Zeit, wo er nicht nur noch soldatisch bellen mußte. Insofern vielleicht auch ehrlich, aber nicht so zwingend überzeugend wie sein deutsches Understatement. Dann klingt es immer ein bißchen WIE: Wie Velvet Underground, wie Captain Beefhart, wie Clash. Ist ja auch prima, aber im Fall der Elemente ist, seltsam und ungewöhnlicherweise, das Deutsche weniger deutsch als das adaptierte Englisch.Im Viervierteltakt, der klingt wie ein Dreivierteltakt, singen: »Drüben, am Horizont verschwindet eine Leiche. Ein Schnitt in die Brust ist der Abschied, doch diesmal fällt er aus. Ich will mehr für dich sein als eine Schleusenbekanntschaft. Diesmal, mein Herz, diesmal fährst du mit...«, das kann nicht jeder. So gesehen, sind »Elements of Crime« tatsächlich »intelligenter« als, sagen wir, Hans Albers.

Ich liebe sie, und wie immer in diesem Fall, suche ich, echt deutsch, distanziert nach dem Schwachpunkt. Der Schwachpunkt von Alice Millers Drama des begabten Kindes lag darin, daß jeder Idiot, der gerade mal den Klappentext schaffte, feststellte, daß das ja genau auf ihn zutraf. »Das Buch handelt von mir« strahlten sich ganze Horden in Wohngemeinschaftsküchen und Kneipen an. Ich will nicht, daß alle die Elemente lieben, will sie ganz für mich alleine haben. Renée Zucker