Das Muskelgebirge aus dem Bayernland

■ Manfred Nerlinger wurde zweitstärkster Mann der Welt

Donaueschingen (taz) — Der Südwestfunk präsentierte seinen staugestapelten Radiohörern im Nachrichtendienst vom Sonntag abend auch zwei Sportmeldungen: Steffi gewann gräflich beim Tennis in Leipzig und Bernhard siegte länglich beim Golf in Stuttgart.

Demnach war klar: Die PR- Kampagne der Gewichtheber war gescheitert. Denn eigentlich sollte Manfred Nerlingers superschwergewichtiger Auftritt bei der Weltmeisterschaft in Donaueschingen der sportive Höhepunkt des Tages werden.

So hatten es sich auch rund hundert lederbehoste, kuhglockenbehangene, bajuwarische Fans vorgestellt, die extra in den südlichen Schwarzwald geeilt waren und aus ihm für einen Tag eine bayerische Kolonie machten. Der „Manni“ aus Neuaubing war auf Gold geeicht, denn für einen Bayern ist es geradezu unvorstellbar, daß es in irgendwelchen anderen Hinterwäldern noch stärkere Männer geben soll. Höchstens in Sibirien.

Die Stadt Grodno liegt zwar nicht in diesem Teil der Sowjetunion, aber das kräftigste Muskelpaket der Welt kommt von dort: Alexander Kurlowitsch gewann — nach dem Olympiasieg '88 und zwei Weltmeistertiteln '87 und '89— auch die Heberkrone dieses Jahres. Anschließend gab der 30jährige Physiklehrer wortgewaltige Interviews.

Frage: Sind sie zufrieden?

Antwort: Total.

Warum fehlten Sie bei der Europameisterschaft im Mai?

Weil ich mich auf die WM vorbereitet habe.

Wieso fehlte bei dieser Weltmeisterschaft überraschend Europameister Taranenko?

Armverletzung.

Sie gehen sich anscheinend beide aus dem Weg?

Nein.

Und der Fragesteller gab auf. Bei Manfred „Manni“ Nerlinger hat man's leichter. „Mein Bier ist mein Doping“, sagt das 149 Kilogramm schwere Muskelpaket und berichtet freimütig von einem verkorksten Wettkampf mit glücklichem Ende: „Beim letzten Versuch bei der Erwärmung brach eine Armverletzung wieder auf. Mir war sofort klar, daß ich nicht richtig mitmischen kann“, erklärte er, freilich in ausgefeiltem Bayerisch. Umso erstaunlicher ist, daß der „verletzte“ Olympia-Zweite Nerlinger trotzdem einen bundesdeutschen Rekord im Stoßen (240 Kilogramm) aufstellte. „Ich konnte die Gewichte nur vom Kopf her halten“, erläutert der stemmende Bundeswehrsoldat die Psychologie seiner Sportart, „aber die 250 Kilo zum Schluß waren eben zu weit weg vom Kopf.“

Manfred Nerlinger ließ sich in seiner Freude über drei Silbermedaillen nicht davon beeinflussen, daß er, wie bei Olympia und der letzten WM, hinter Kurlowitsch auf Platz zwei landete. „Das wird mich nur anstacheln“, sagt er für Olympia den Kampf an. Dabei will ihn Martin Zawieja unterstützen, der sich vom Kampfgericht um zwei Medaillen betrogen sah. Im dritten Versuch des Stoßens brachte der 30jährige Soester zwar 227,5 Kilogramm zur Hochstrecke, aber die Hebung wurde mit 2:1 Stimmen ungültig gegeben. „Meine Arme sind viel zu schwach für diese Last, die müssen da ein bißchen wackeln“, ärgerte sich der 128 Kilogramm wiegende Zawieja über die Verständnislosigkeit der mickrigen Kampfrichter. „Da hat man nun eine Medaille im Reißen gewonnen und kann sich nicht so richtig freuen“, trauert der Superschwere und weiß einen Ausweg: „Auf diesen Kummer muß ich mit meinen Fans in Soest erstmal einen trinken gehen.“ Hagen Boßdorf