Kein Auslaufmodell

■ Rot-Grün ist mehrheitsfähig zumindest in der Zweidrittelgesellschaft der Wähler

Kein Auslaufmodell Rot-Grün ist mehrheitsfähig — zumindest in der Zweidrittelgesellschaft der Wähler

Rot-Grün ist kein auslaufendes Modell. Nicht als neues ideologisches Weltbild um jeden Preis, wohl aber als konkrete Grundlage einer Lokalpolitik, die ökologische Mülltrennung, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und größere Bürgernähe durchsetzt, feiert Rot-Grün Erfolge. Eine Woche nach der Bremer Bürgerschaftswahl, die 20 Jahre SPD-Alleinherrschaft zugunsten einer rot-grünen Mehrheit beendete, hat jetzt auch die niedersächsische Kommunalwahl den Trend fortgesetzt: Hannover und Oldenburg, die bereits seit vier Jahren von SPD und Grünen gemeinsam regiert werden, haben ihre rot-grüne Mehrheit behalten, Osnabrück, Göttingen und Delmenhorst sind als neue rot-grüne Städte dazugekommen. Und sogar auf dem flachen Land ist Rot-Grün nicht mehr ausgeschlossen.

Innerhalb bestehender rot-grüner Mehrheiten hat es jedoch eine Verschiebung gegeben: Die SPD ist schwächer, die Grünen sind stärker geworden. Genauso wie in Bremen, wo SPD und CDU zusammen nur noch rund 70 Prozent der Stimmen einsammeln konnten, hat jetzt auch in Niedersachsen das Mißtrauen gegenüber den großen Parteien zugenommen.

Überall, wo SPD oder CDU die absolute Mehrheit hielten, haben sie verloren. Grüne, FDP und freie Wählergemeinschaften legen zu. Und die WählerInnen sind aufmerksamer gegenüber lokalen Machtherrlichkeiten geworden. In Niedersachsen standen jeder WählerIn sechs Stimmen zur Verfügung, mit denen sie nach Herzenslust unbeliebtes Personal der Lokalpolitik von der Wahlliste kippen durfte. Eine Möglichkeit, von der sehr bewußt Gebrauch gemacht wurde. So verloren die Sozialdemokraten in Achim, einem Vorort von Bremen, in dem sie sich noch kurz vor der Wahl unter Umgehung der Geschäftsordnung mit einem millionenschweren Rathaus-Neubau ein Denkmal setzen wollten, satte elf Prozent an eine freie Wählergemeinschaft und die Grünen. Doch die gleichen WählerInnen, die die SPD in ihrer Stadt erbarmungslos straften, bestätigten mit ihren Stimmzetteln für die Kreistagswahl eine erfolgreiche rot- grüne Koalition.

Während ein Großteil der Bevölkerung auf solche Art mit ihren Stimmen immer bewußter Politik macht, ist allerdings gleichzeitig die Zahl derjenigen, die gar nichts mehr von ihr erwarten, auch stark angewachsen: Nur noch knapp 70 Prozent der Wahlberechtigten gibt überhaupt noch eine Stimme ab. Rot-Grün ist mehrheitsfähig — zumindest in dieser Zweidrittelgesellschaft. Dirk Asendorpf, Bremen