Generäle auf der Anklagebank

Parlamentarischer Untersuchungsausschuß prüft die strafrechtliche Verantwortung von General Kiszczak und dessen Mitarbeitern/ Wie Polens Behörden die Täter noch heute schützen/ Ein Report mit geschwärzten Kapiteln  ■ Aus Warschau K. Bachmann

Der „außerordentliche Ausschuß zur Untersuchung der Tätigkeit des Innenministeriums in den Jahren 1981-1989“ des polnischen Parlaments hat einen Abschlußbericht vorgelegt, der zahlreiche hohe Generäle des Innenministeriums samt Polens ehemaligem Innenminister General Kiszczak schwer belastet. Der Ausschuß, der insgesamt über hundert ungeklärte Todesfälle der letzten Jahre untersuchte, kommt beispielsweise zu dem Schluß, daß es unter Kiszczaks Fittichen im Innenministerium ein ganzes Department gab, das als verbrecherische Organisation im Sinne des damals geltenden Rechts anzusehen ist. Chef des Departments, das sich mit der Beobachtung und Verfolgung von Priestern und Gläubigen befaßte, war General Platek, der inzwischen im Zusammenhang mit dem Mord an dem oppositionellen Priester Jerzy Popieluszko verhaftet wurde. Dessen Untergebene, so der Ausschuß, hätten Priester bespitzelt und umzubringen versucht, Pilger mit Gift traktiert und selbst einem Bischof das Auto niedergebrannt. Als weitgehend geklärt gelten können nach den Worten des Ausschußvorsitzenden Jan Rokita nun die Vorfälle in der Grube Wujek in Kattowitz und im schlesischen Lubin, bei denen nach Verhängung des Kriegsrechts 1981 mehrere Menschen getötet und zahlreiche weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Am 16. Dezember 1981 hatte ein Sonderkommando des Innenministeriums bei der Niederschlagung eines Streiks in der Grube Wujek das Feuer auf die Bergleute eröffnet, von denen so neun getötet wurden. In Lubin starben drei Menschen, als motorisierte Schützen der Polizei am 31.AKZENT F1August 1982 durch die Stadt fuhren und aus Polizeifahrzeugen heraus wild in die Menge schossen. General Kiszczak wirft der Ausschuß vor, daß er die gleichen Beamten in der Grube Wujek eingesetzt habe, die zuvor bereits im benachbarten Jastrzebie mehrere Menschen zusammengeschossen hatten. Die Schießerei in Lubin, so stellte die Kommission nach ausführlichem Aktenstudium und Verhören von Zeugen vor Ort fest, sei offensichtlich von langer Hand als Einschüchterungsaktion geplant gewesen. Opfer habe man dabei einberechnet — so wurden schon im voraus Krankenwagen aus dem Umland einbestellt, die dann allerdings nicht zur Versorgung der Angeschossenen, sondern der Polizisten eingesetzt wurden.

Die Kommission verwirft auch die damaligen Ermittlungsergebnisse, wonach der Schußwaffengebrauch in Notwehr erfolgt sei. Vielmehr sei gezielt und auf Befehl von oben geschossen worden. Einer der Verantwortlichen für die Ereignisse in Kattowitz sitzt auch bereits schon hinter Gittern: General Ciaston wurde bereits vor längerer Zeit in Haft genommen — ebenfalls im Zusammenhang mit der Ermordung Popieluszkos. Die Ermittlungen hätten damals vor allem das Ziel gehabt, die Verantwortlichen reinzuwaschen und Beweise gegen die betroffenen Beamten zu vernichten und eventuelle Zeugen einzuschüchtern. So hatte die Kommission Rokitas auch erhebliche Schwierigkeiten bei der Aufklärung. Viele Akten wurden nach dem Machtwechsel in Polen von führenden Beamten des Innenministeriums vernichtet, einige dem Ausschuß allerdings auch vom derzeitigen Innenminister Majewski als geheim vorenthalten. Sich selbst hat der Ausschuß auch zensiert — mehrere Abschnitte wurden für geheim erklärt und aus der veröffentlichten Version gestrichen.

In insgesamt 70 Fällen fordert der Ausschuß nun von Polens Generalstaatsanwalt und Justizminister Chrzanowski dienstliche Konsequenzen gegen zahlreiche Staatsanwälte, die damals an der Vertuschung der Verbrechen und der Verdrehung der Untersuchungsergebnisse mitgewirkt haben und nach wie vor als Staatsanwälte arbeiten. In einigen Fällen, so die Abgeordneten, hätten die Staatsanwaltschaften bei der Wiederaufnahme von Verfahren die gleichen Experten mit Gutachten beauftragt, die schon damals mit der Spurenverwischung befaßt gewesen seien. Mehrfach hätten es die Staatsanwaltschaften auch abgelehnt, gegen die Täter von damals überhaupt Ermittlungsverfahren einzuleiten oder Verfahren einfach wieder eingestellt. Den Strafverfolgungsbehörden steht nun auch eine ganze Anzahl von Verfahren gegen die Täter von damals bevor. General Kiszczak hat auf den Ausschußbericht mit der Äußerung reagiert, die Abgeordneten hätten die von ihnen Beschuldigten nicht angehört und nur Beweise gegen seine Behörde gesammelt. Der Ausschußvorsitzende Rokita, als Krakauer Bürgerrechtler und Anwalt selbst Opfer von Kiszczaks Behörde, wies das zurück: Der Ausschuß habe keine Befugnis zu Verhören erhalten, dort wo man Verdächtige geladen habe, hätten diese die Aussage verweigert. Kiszczak, in den 70er Jahren Chef der polnischen Gegenspionage im Ausland und von Jaruzelski zum Innenminister berufen, hatte nach der Ermordung des Priesters Popieluszko eine Reihe von Alt- Stalinisten gefeuert, gleichzeitig aber das Ministerium gegenüber Ermittlungen nach den Hintermännern des Mords abgeschirmt. Später gehörte er zu den Vertretern jener Öffnungspolitik gegenüber der Opposition, die schließlich zum Kompromiß des „Runden Tisches“ und zur Auflösung der realsozialistischen Herrschaft führte. General Jaruzelski, verantwortlich für die Verhängung des Kriegsrechts 1981, hat bereits vor einem Jahr versucht, den Opfern von „Wujek“ mit einer Kranzniederlegung in Kattowitz Abbitte zu leisten. Jaruzelski, dessen korrekte Haltung gegenüber der Solidarność-Regierung ihm viele Sympathien in Polen eingebracht hat, erklärte, er könne zwar nicht „für jedes Verbrechen unter dem Kriegsrecht“ einstehen, nehme aber die moralische Verantwortung für die Opfer auf sich. „Das wird mich begleiten bis an mein Lebensende“, erklärte er der 'Gazeta Wyborcza‘.