Dem dritten Mann auf der Spur

Unter den Glücksrittern, die beim Versilbern der KoKo-Erbmasse eine schnelle Mark machen wollen, sind Österreichs Vize-Kanzler Hannes Androsch und der frühere Schweizer Schalck-Statthalter Ottokar Hermann  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Es ist keine besonders einladende Gegend, in der sich die Consultatio Wirtschaftsprüfungs-GmbH niedergelassen hat: Die Firma mit dem vornehmen Namen residiert in einem riesigen, grauen Kasernenblock, draußen im Ostberliner Stadtteil Karlshorst, hart an der Grenze zum sowjetischen Sperrbezirk. In unmittelbarer Nachbarschaft: sowjetische Kasernen und ein KGB-Gebäude. Neugierige Fremde werden mißtrauisch aus einem umherschleichenden Wolga der sowjetischen Militärpolizei beäugt. In dem düsteren Anwesen Siegfried-Widera-Str. 82-90 saß früher die Zollverwaltung der DDR. Der Zoll unterstand dem Finanzministerium. Dort wirkte als stellvertretende Ministerin bis zuletzt Herta König. Und Herta König, womöglich nur ein Zufall, ließ am 18. August 1990, also gerade noch unter DDR-Regime, die Firma Consultatio ins Ostberliner Handelsregister eintragen.

Sie handelte dabei im Auftrag einer Wiener Firma gleichen Namens. Der steht ein prominenter Sozi vor, dem die Donau-Metropole bereits manche Schlagzeile im Zusammenhang mit Finanzskandalen verdankt: Der ehemalige österreichische Finanzminister, Vizekanzler und Kreisky-Kronprinz Hannes Androsch.

In der österreichischen Hauptstadt besaß die Devisenbeschaffungsbehörde „Kommerzielle Koordinierung“ des Alexander Schalck- Golodkowski allerlei Tochterfirmen und Beteiligungen, darunter auch zwei hübsche Immobilien: Das Hotel Bellevue im Stadtzentrum und den Passauer Hof im weinseeligen Vorort Grinzing. Dazu noch die Autohandlung G.T.Cars GmbH. Als Statthalter vor Ort fungierte das Ehepaar Ingrid und Gerhard Tempel, die je 5 Prozent (an G.T.Cars 10 Prozent) des Kapitals hielten. Die Kapitalmehrheit jedoch kontrollierte Schalcks wichtigster KoKo-Statthalter im westlichen Ausland: Ottokar Hermann, Chef der Firma Intrac S.A. im schweizerischen Lugano, an der Schalck-Vize und Stasi-Offizier Manfred Seidel 40 Prozent hielt, sowie der Briefkastenholding Befisa.

Mit der Vereinigung geriet auch der KoKo-Besitz an den Ufern der Donau und des Lago di Lugano unter die Verwaltung der Treuhand. Die G.T.Cars wurde bereits verkauft — an die Tempels. Jetzt sollen die Wiener Hotels versilbert werden. In die Berechnung der Verkaufswerte der beiden Nobelherbergen, ebenso der Ferienanlage Inver Canary auf der Kanaren-Insel Fuerteventura, wurde die Consultatio eingeschaltet. Das erfolgte zwar „nicht im Auftrag“, aber immerhin „in Absprache“ mit der Treuhand, wie deren Sprecherin der taz bestätigte. Beauftragt wurde die Consultatio von der Berliner Handels- und Finanzierungsgesellschaft (BHFG). Die BHFG war, ebenso wie die Effect Vermögensverwaltungs-GmbH, noch unter DDR-Regime von engen Schalck- Vertrauten als Auffanggesellschaft zur Sicherstellung der KoKo-Erbmasse installiert worden.

Consultatio scheint eine zweifelhafte Wahl. Denn Herta König, Geschäftsführerin in Androschs Ostberliner Filiale, hat einschlägige Erfahrungen in konspirativen Geldangelegenheiten: Im DDR-Finanzministerium war sie, so eine Notiz der Westberliner Kripo, „zuständig für geheimzuhaltende Geldflüsse für MfS, NVA (...).“ Sie arbeitete — das geht aus der taz vorliegenden Schalck-Aufzeichnungen hervor — eng mit dem KoKo-Boß zusammen. Als Gründungsgesellschafter der Consultatio tauchen auch die Herren Stefan und Matthias Beil auf. Der Verdacht liegt auf der Hand, daß die beiden im väterlichen Auftrag handeln: Vater Gerhard Beil war als Außenhandelsminister der formelle Vorgesetzte Schalck-Golodkowskis. Seine Karriere begann er, quasi auf den Spuren des dritten Mannes, in den Kanälen der Wiener Szene: Viele Jahre war er dort als Handelsrat der DDR-Botschaft akkreditiert — und als HVA-Spion für Markus Wolf im Einsatz, wie Schalck bei einer BKA-Vernehmung zu Protokoll gab.

Das Berliner Consultatio-Gewächs ist mitlerweile ins Visier der Ermittler geraten, die die Machenschaften alter und neuer KoKo-Seilschaften aufzuklären haben. Im für die „Bekämpfung der organisierten Wirtschaftskriminalität mit DDR- Bezug“ zuständigen Referat des Berliner Polizeipräsidiums wird die Consultatio als „ermittlungsrelevant“ eingestuft, wie aus einer Anfrage der Kripo an das Bundesamt für Verfassungsschutz vom Mai dieses Jahres hervorgeht.

Unregelmäßigkeiten gehören offenbar auch zum Geschäft des Ottokar Hermann in Lugano. Der Osthandels-Veteran mit Sitz in der neutralen Schweiz fungierte während Jahrzehnten nicht nur als wichtigster KoKo-Resident für Devisengeschäfte und Kapitalanlagen im Westen, sondern auch als Relaisstation beim illegalen Verschub von High- Tech, Embargowaren und nachrichtendienstlicher Technik in den Ostblock.

Die Beschaffung einer Spezialdruckmaschine zur Herstellung von Pässen und anderen komplizierten Dokumenten für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in Erich Mielkes Stasi-Ministerium wurde ebenso über die Intrac Lugano abgewickelt wie Besorgung einer kompletten Produktionsanlage für Computerfestplatten. Welche wichtige Rolle Hermann bis zuletzt in Schalcks Schattenreich spielte, belegt ein Aktenvermerk Schalcks von 1989. Zu „Embargolieferungen“ heißt es darin: „Zur Gewährleistung derartiger Importe wurde eine entsprechende Kontaktarbeit mit ausländischen Firmen gepflegt, die für diese Aufgaben mit hoher Zuverlässigkeit einsetzbar waren, z.B. Intrac/ Lugano, Fa. Intex/West-Berlin.“ Auch die Intex in West-Berlin gehört übrigens, ebenso wie die Intex Wien, zum von Hermann verwalteten Teil des KoKo-Geflechtes.

Offenbar hat Ottokar Hermann noch in jüngster Zeit versucht, den einen oder anderen Tausender aus dem KoKo-Nachlaß auf die Seite zu schaffen. Mal klagen Mitarbeiter der mittlerweile unter Treuhand-Aufsicht stehenden Firma Effect in Schreiben vom Juli dieses Jahres über einen „unberechtigten Eingriff des Herrn Hermann auf unser Treuhand-Konto“. Ein anderes Mal bemängeln sie, daß der Mafioso vom Lago di Lugano Zinsgewinne aus KoKo-Geschäften, die der Treuhand zustehen, „trotz eindeutiger Zahlungsaufforderungen bis heute nicht an uns zurücküberwiesen hat.“ Im Frühjahr dieses Jahres hatte Hermann, wie ein Effect-Geschäftsführer 17.4.91 vermerkte, „ohne uns vorher deswegen anzusprechen, insgesamt 6.407.142,10 DM von unserem Treuhandkonto auf sein Konto bei der BfG Luxemburg überwiesen.“

Mittlerweile ist in Treuhand-Korrespondenz von „möglicherweise strafrechtlich relevanten“ Tatbeständen im Zusammenhang mit Herrn Hermanns Transaktionen die Rede. Den Verdacht hegt wohl auch die AG Regierungskriminalität bei der Westberliner Staatsanwaltschaft und hat die Schweizer Justiz förmlich um Rechtshilfe gebeten. Letzte Woche gab Bern grünes Licht.