Vom Aufsteiger zum Aussteiger

■ Martin Bonacker war ein Elite-Mitarbeiter der „Sea-Org“-Abteilung des Scientology-Imperiums

Aus dem Aufsteiger wurde ein Aussteiger. Zwei Jahre liegt die Zeit zurück, da Martin Bonacker(32) die Welt retten wollte. Damals, nach nur dreimonatiger Mitgliedschaft, hatte man ihn für höchste Scientology-Weihen ausgewählt: Er durfte sich zum Mitarbeiter der europäischen „Sea-Org“-Abteilung („See-Organisation“) ausbilden lassen. Diese regiert das internationale Scientology-Imperium, früher von Schiffen aus, heute mit Hauptsitz in Los Angeles.

Hineingeraten war der Hamburger, der heute Taxi fährt und Psychologie studieren will, im Frühjahr 1989. Er war mit seinem Job als Finanzberater nicht so recht glücklich. Da versprach das große Schild „Kostenloser Persönlichkeitstest“ vor dem Hamburger Sektenhaus am Steindamm Orientierungshilfe. Heute weiß Martin Bonacker, daß dieser Test nur darauf abzielt, die Selbstsicherheit der Probanden zu untergraben, um um so leichter mit scientologischen Angeboten landen zu können. Damals klopfte ihn die Diagnose angeblicher Schwächen im kommunikativen Bereich weich. Er kaufte einen „Kommunikationskurs“ für 170 Mark. Bald kam Martin Bonacker jeden Tag in das Haus am Steindamm. Dort lernte er, anderen stundenlang in die Augen zu starren und dabei „das, was ich fühle und kommunizieren möchte, zurückzunehmen aus diesem Kontakt und ihn nur als Instrument des Kontaktes zu benutzen“. Als Instrument für die abstrusen Weisheiten von Gründervater Hubbard. Damit begann die „Aushöhlung, das Aufgeben meiner eigenen Originalität“. Doch Bonacker eilte auf Hubbards immer teurer werdenden Leiter zur „totalen geistigen Freiheit“ hinauf.

Sein Eifer wurde mit dem Angebot, bei der Sea-Org mitzuarbeiten, belohnt. Nur ein Problem mußte auf dem Weg in die absolute Menschheitselite noch ausgeräumt werden: Er hatte Schulden. Und damit konnte man ihn in der Sea- Org nicht gebrauchen. Also startete Bonacker einen Arbeitsmarathon: Er wollte bis zu seiner Abfahrt aus den roten Zahlen sein. Schließlich erbot sich ein Kollege, die angeleierten Projekte zu Ende zu führen. „Ich ging dann guter Dinge und in dem Glauben, daß meine Schulden bereinigt werden würden, während ich bereits als Sea-Org- Member beginne, die Welt zu retten.“

In Kopenhagen wurde der Neuling zunächst im „Projekt Zero“ mit fünf Stunden täglichem Scientology-Studium plus acht Stunden Putzarbeit in den Org-Räumlichkeiten auf seine messianischen Aufgaben eingestimmt. Samstagvormittag war frei, um die Wäsche zu waschen. Die tägliche Arbeitszeit betrug bald 14 bis 15 Stunden. Erst nach einigen Wochen meldete sich „so im Bauch, ohne daß ich damit umgehen konnte, ein dummes Gefühl“. Ursache: Der Neue war krank geworden, Grippe, aber: „Ich habe drei Tage niemanden gesehen, ich war allein auf meinem Zimmer und hatte das Gefühl, auch verhungern zu können. Gemeinschaft war nicht da. Ich habe sie auch sonst nie erlebt.“ Daß Krankheit im scientologischen System nicht vorgesehen ist, hat Bonacker wenig später auch als Personalchef der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Recht erlebt: Niemand fühlte sich bemüßigt, die wahnsinnigen Kopfschmerzen eines Mitarbeiters ernst zu nehmen. Denn Hubbards Heilslehre geht davon aus, daß man auf dem Weg zum Übermenschen nicht mehr krank wird. Ein Arzt wird nur im äußersten Notfall konsultiert. Der trat nun ein: Der Mitarbeiter hatte Lähmungserscheinungen. Er kam ins Krankenhaus. Diagnose: Hirntumor.

Martin Bonackers Bankschulden war mit dieser Methode nicht beizukommen. Deswegen beantragte er per Computer bei der dafür zuständigen Stelle in den USA Sonderurlaub. Drei Tage vor der geplanten Abfahrt nach Hamburg hieß es dann: „Sonderurlaub nicht genehmigt, sondern aus der Sea-Org rausgeschmissen, weil du Schulden hast.“ Er mußte — zum Glück, wie er heute findet — seine Koffer packen, damals noch mit dem Vorsatz, die Sache ins reine zu bringen und zurückzukehren. So war dann auch die Abreise noch lange kein Ausbruch aus dem Wahnsystem: „Ich hatte meinen Körper nach Hamburg geschafft. Aber ich dachte noch scientologisch.“ Selbst seinen besten Freunden gelang es ein Vierteljahr lang nicht, ernste Zweifel an Hubbards Heilslehre bei ihm zu wecken. Bis eine gute Freundin mal wieder versuchte, ihm klarzumachen, daß Scientology ein Irrweg ist. „Schließlich lehnte sie sich zurück und sagte: ,Gut, wir kommen mit Worten nicht weiter. Aber ich weiß, daß es Mist ist.‘ Da wurde mir schlagartig klar: Die Worte sind scientologisch belegt, und damit kann ich keinen Weg raus finden. Das zweite war die Art, wie sie das sagte. Daraus sprach so eine Verbundenheit mit dem Leben. Das war wie ein Lichtstrahl, in dem die Erinnerung an meine Kindheit aufblitzte, ein Gefühl für das, was Leben eigentlich ist. Diesen Moment habe ich für mich genutzt, um einen Pflock einzurammen und mir zu sagen: Ich gehe nicht wieder hin.“

Heute sieht Martin Bonacker klar, worauf die Seelenfängerei der Psychokonzerne beruht: „Es werden Wünsche angesprochen. Der Wunsch nach Sinn, das Gefühl, gebraucht zu werden. Dazu kommt dann die Summe der negativen Erfahrungen, die man in unserer Gesellschaft so macht. Das ist der Nährboden.“ Seine Erfahrungen bringt er inzwischen in die Ausstiegsberatung ein. Bonackers Rat zum Umgang mit einem Sektenanhänger: „Ich muß versuchen, so zu ihm zu sprechen, als wenn er ganz der alte wäre, seine Gefühle ansprechen. Wenn ich das tue, spreche ich etwas an, was Scientologen nicht akzeptieren: ihn selber.“ Dadurch könne man jemandem den Absprung erleichtern, wenn er selbst aufgrund negativer Erfahrungen mit der Sekte an den Ausstieg zu denken beginnt. Effektiver sind „konfrontative Maßnahmen“. Aber die erfordern viel Fingerspitzengefühl und Sachkompetenz. Am besten, man weiß wie Martin Bonacker aus eigener Erfahrung, was es heißt, den faschistoiden Seelenfängern auf den Leim gegangen zu sein. Jörg Herrmann