10 Jahre Haft für Silke Maier-Witt

Das Stuttgarter Oberlandesgericht verurteilt die DDR-Heimkehrerin und RAF-Aussteigerin wegen Mordes und Mordversuchs/ Die Kollektivitätsthese der Bundesanwaltschaft hat weiterhin Bestand  ■ Aus Stammheim Erwin Single

Stammheimer Prozesse haben bekanntlich ihre eigenen Gesetze. Kaum hatten im Verfahren gegen die RAF-Aussteigerin Silke Maier-Witt gestern alle Beteiligten das Plädoyer der Verteidigung richtig zur Kenntnis genommen, zog das Stuttgarter Oberlandesgericht bereits den Schlußstrich: Es verurteilte die 41jährige DDR-Heimkehrerin zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

Die fünf Richter befanden Silke Maier-Witt als Mittäterin bei der Entführung und Ermordung Hanns- Martin Schleyers des dreifachen Mordversuchs und des räuberischen Diebstahls mit Todesfolge für schuldig. Die Angeklagte habe sich mit der Aktion identifiziert, den Tod des früheren Arbeitgeberpräsidenten billigend in Kauf genommen und sich für die Übernahme von Aufgaben „jederzeit einsatzbereit“ gezeigt, begründete der Vorsitzende Richter Friedrich Nagel. Auch bei der Planung des fehlgeschlagenen Bombenattentates auf den ehemaligen Nato- Oberbefehlshaber Alexander Haig während eines Truppenaufenthalts im Jemen habe Maier-Witt mitgewirkt, den Tod Haigs „gewollt“ und den seiner Begleiter einkalkuliert. Sie habe sich regelrecht „aufgedrängt“, an der Aktion teilnehmen zu dürfen. Daß bei dem Banküberfall in Zürich RAF-Mitglieder von der Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch machen würden, so das Gericht weiter, habe die Angeklagte gewußt und wiederum gebilligt. Lediglich beim Tod der Begleiter Schleyers wichen die Richter von der Kollektivitätsthese ab: Es könne nicht angenommen werden, daß die Angeklagte in diesen Teil des Tatplanes eingeweiht war. Die Einheitsfront von Justiz und Bundesanwaltschaft bei der Fiktion vom „RAF-Kollektiv“ hat damit weiter Bestand.

Zu erwarten war, daß der Angeklagten ein deutlicher Kronzeugenrabatt zugute kommt. Aus „eigener moralischer Reinigung“ heraus habe sie einen größeren Aufklärungsbeitrag geleistet als beispielsweise ihre ehemalige Kampfgefährtin Susanne Albrecht, lautete die Botschaft aus Karlsruhe; ihre Aussagen haben zu neuen Anklagepunkten gegen Christian Klar und Angelika Speitel geführt.

Nur vier Stunden vor der Urteilsverkündung hatte die Verteidigung für eine Freiheitsstrafe von maximal 8 Jahren plädiert. Maier-Witt habe lediglich als „Gehilfin“ mit „Tatbeiträgen am Rande des Geschehens“ bei der Entführung Schleyers mitgewirkt; für die Morde könne sie keineswegs verurteilt werden, da sie weder die Tatpläne im Detail gekannt noch Einflußmöglichkeiten darauf gehabt habe. Auch bei den Komplexen Haig und Zürich sei die in der RAF zu der Gruppe der „Zauderer und Bedenkenträger“ zählende Angeklagte keine Mittäterin gewesen, sondern habe sich lediglich der Beihilfe schuldig gemacht. Scharf griff Anwalt Helmuth Jipp die Fiktion der RAF-Kollektivität an: Die Hauptverhandlung habe den Nachweis erbracht, daß die gemeinsame Willensbildung nach dem Grundsatz gleichberechtigter Gruppenmitglieder zwar Anspruch der RAF gewesen sei, sich aber zu keiner Zeit mit der Realität gedeckt habe. Vom BAW- Strafantrag zeigte sich Jipp „entsetzt“: Es könne nicht angehen, so der Anwalt, „daß gegen RAF-Aussteiger eine Regelstrafe von 12 Jahren“ verlangt werde.

Spätestens nach dem Plädoyer der Bundesanwälte war wieder einmal klar: Wie zuvor Susanne Albrecht sollte auch Silke Maier-Witt zur Mörderin gestempelt werden, auch wenn sie bei den ihr zur Last gelegten Taten am Ende nicht selbst Hand angelegt hat. Oberstaatsanwalt Volker Hohmann plädierte auf fünffachen Mord und dreifachen Mordversuch und beantragte mit dem BAW-Notanker der Kronzeugenregelung eine Gesamtstrafe von 12 Jahren. Die Bundesanwälte sahen es als erwiesen an, daß die DDR-Heimkehrerin an allen drei Komplexen beteiligt war und „Aufklärungshilfe“ geleistet habe. Silke Maier-Witt, so die Ankläger, sei während ihrer zweieinhalbjährigen RAF-Mitgliedschaft „keine einfache Handlangerin“, sondern in „die Tätergruppe integiert gewesen“. Woher diese Erkenntnis stammt, vermögen einzig die BAW-Ermittler selbst zu erklären; alle aufgefahrenen ZeugInnen hatten die Angeklagte dagegen als in der RAF-Hierarchie „ziemlich weit hinten“ rangierende Randfigur beschrieben.

Für Silke Maier-Witt indes schließt sich in Stammheim, wo sie vor 15 Jahren die RAF-Prozesse gegen Baader, Meinhof und Ensslin verfolgte, ein Kreis. Für sie, die die „Unmenschlichkeit und Sinnlosigkeit“ der RAF-Aktionen längst eingesehen hat, gäbe es „da nichts zu verteidigen“. Ihr Schlußwort galt den Opfern der RAF: „Ich bitte sie um Verzeihung.“