»Einen reinen Styl erdenken«

■ Karl Friedrich Schinkel: Gedanken zur Baukunst

Natur- und Kunstformen. So wie sich die Seele der Natur in den Formen der einzelnen Naturgeschöpfe und in dem Verhältniß ihrer Teile zueinander abgespiegelt hat, so hat sich der Menschen-Geist in den Formen der Kunst niedergelegt; und es ist daraus eine Welt der Formen entstanden.

An manches Zufällige, oft Unzweckmäßige hat sich eine Welt angebildet, die viel Schönes oft enthält, so daß nicht der Grund, sondern die Folgen in einer Reihe zu betrachten sind.

Die Welt der Kunstformen läuft parallel mit den Formen der Natur; sie hat aber nicht diese selbst um dieser selbst willen, sondern sie dienen ihr zuweilen um eines menschlichen Ausdrucks willen; viele aber kommen im Zusammenhang gar nicht in der Natur vor, oder sind wenigstens nur angedeutet, diejenigen, welche durch die Vernunft und Verstand für menschliche Verhältnisse entstanden sind.

Begriff des Architekten. Der Architect ist seinem Begriffe nach der Veredler aller menschlichen Verhältnisse, er muß in seinem Wirkungskreise die gesammte schöne Kunst umfassen. Plastik, Malerei und die Kunst der Raumverhältnisse nach Bedingungen des sittlichen und vernunftgemäßen Lebens des Menschen schmelzen bei ihm in einer Kunst zusammen.

Baukunst als Symbol des Lebens. In der Baukunst muß wie in jeder Kunst Leben sichtbar werden, man muß die Handlung des Gestaltens der Idee sehen, und wie die ganze bildliche Natur ihr zu Gebote steht und sich herandrängt, um ihrem Willen zu genügen. Das Werk der Baukunst muß nicht dastehen als ein abgeschlossener Gegenstand, die echte wahre Imagination, die einmal in den Strom der in ihm ausgesprochenen Idee hineingerathen ist, muß ewig von diesem Werk aus weit fortgestalten und ins Unendliche hinausführen. Es muß dasselbe als den Punkt betrachten, von welchem aus ganz in der Ordnung eingegangen werden kann in die unzertrennliche Kette des ganzen Universums. Ein Streben, ein Sprossen, ein Crystallisiren, ein Ausschließen, ein Drängen, ein Spalten, ein Fügen, ein Treiben, ein Schweben, ein Ziehen, ein Drücken, Biegen, Tragen, Setzen, Schwingen, Verbinden, Halten, ein Liegen und Ruhen, welches letztere aber hier im Gegensatz mit den bewegenden Eigenschaften auch absichtlich sichtbarlich lagern und insofern auch als lebendiges Handeln gedacht werden muß: dies sind die Leben andeutenden Erfordernisse in der Architectur.

Originale Kunst. Es kann nicht die Frage sein bei einer Aufgabe für die Baukunst: was gehört von den bekannten nützlichen Dingen in der Welt zur Ausführung dieser Aufgabe, sondern es steht eine reine Idee von der allein möglichen Art eines Werkes in der Seele des Baukünstlers, diese Idee ganz unabhängig von der bestehenden Welt rein aus ihm selber erschaffen, indem er die tiefste Bestimmung des Gebäudes unmittelbar in ihm selbst fühlte, und nun erst entsteht die Frage, was sind die nothwendigen Mittel zur Realisirung dieser neuen, in ganzer Freiheit erzeugten Idee.

Es ist wohl sehr klar, daß von den vorhandenen bestehenden Mittel, die für andere Zwecke dienten, wohl nichts geradezu seine Anwendung finden dürfte, sondern daß auch die Mittel ganz neu zu erschaffen wären.

Der erste, welcher die korinthische Säule erfand und sie an den Ort stellte, der allein ihr zukommen kann, war ein Künstler im wahren Sinne des Worts, aber wahrhaftig keiner, der ihm folgt und nachahmt, was er vorthat, darf sich mit diesem Namen schmeicheln, er mag sein Verdienst haben, daß er das Gute anerkannte und verwandte, aber er ist nicht mehr Schöpfer, in ihm ist nicht mehr die ursprüngliche Thätigkeit, er lebt nicht sein eigenes Leben, sondern lebt noch das Leben eines andern, welches in jenem andern wahrhaft lebendiges Leben ist.

Nachahmung. Ängstliche Wiederholung gewisser Anordnungen in der Architectur, die in einer gewissen Zeit üblich waren, können nie ein besonderes Verdienst neuer Architecturwerke sein.

Der neue Stil. Jede Hauptzeit hat ihren Styl hinterlassen in der Baukunst, warum sollten wir nicht versuchen, ob sich nicht auch für die unsrige ein Styl auffinden läßt?

Warum sollen wir immer nur nach dem Styl einer anderen Zeit bauen? Ist das ein Verdienst, die Reinheit jedes Styls aufzufassen — so ist es noch ein größeres, einen reinen Styl im allgemeinen zu erdenken, der dem Besten, was in jedem andern geleistet ist, nicht widerspricht.

Nur Mangel an Mut und eine Verwirrung der Begriffe und der Sitten, eine Scheu vor gewissen Fesseln der Vernunft und eine Vorliebe für dunkles Gefühl und die Einräumung von dessen unbedingter Gewalt über und ohne einige Rücksicht auf die Verhältnisse im allgemeinen, die uns umgeben, und auf den Fortschritt, welchen wir auf unserem Standpunkte für die allgemeine Entwickelung des Menschengeschlechtes zu machen durch die Vernunft verpflichtet werden, kann von solchem Unternehmen abhalten.

Dieser neue Styl wird deßhalb nicht so aus allem Vorhandenen und Früheren heraustreten, daß er ein Phantasma ist, welches sich schwer allen aufdringen und verständlich werden würde, im Gegentheil, mancher wird kaum das neue darin bemerken, dessen größtes Verdienst mehr in der consequenten Anwendung einer Menge im Zeitlaufe gemachter Erfindungen werden wird, die früherhin nicht kunstgemäß vereinigt werden konnten.

Resignation des Architekten. Die Resignation ist eine Haupttugend für den Künstler, besonders aber bei dem Architecten, wenn er die Ornamente eines Bauwerks bearbeitet.

Philisterei. Die für jedermann passende Nützlichkeit zum Princip erhoben und zu allgemeiner Anwendbarkeit befördert, ist der wesentliche Grund und Boden der Philisterei. Den menschlichen Bestrebungen wird dadurch die Mannigfaltigkeit geraubt, welche vom Ursprunge an in der Natur aller menschlichen Dinge geschaffen ist durch die Unendlichkeit der Individualitäten. Daher erzeugt sich durch jenes Princip das Uniformenwesen in jeglicher Art.

Künstler und Gelehrter. Dem Anschein nach vernünftig sprechen über Kunst und vernünftig handeln in der Kunst ist ein großer Unterschied. Man kann dem Scheine nach ein halbes Leben vernünftig über Kunst geredet haben und ist deshalb doch nicht im Stande, eine einzige Idee kunstgemäß vernünftig zu concipiren. Können und Wissen sind zwei ganz verschiedene Dinge in der Welt. Es haben sich große Gelehrte, wenn sie ihren Vortheil verstanden, sehr gehütet, etwas hinzustellen. Winckelmann mag ein Besipiel sein.

Für den Grad des geistigen Zusammennehmens, welches zur Conception eines Kunstwerks gehört, da will es außer der Vernunft noch zwei wichtige Eigenschaften, ohne welche es unmöglich wird, diese sind: ein Schatz von Fertigkeiten und Talent. Auch das Talent ohne Fertigkeiten vernichtet sich selbst während der Arbeit, es ermüdet sich an sich selbst, denn es bringt nicht die vom Autor gewünschten und erstrebten Resultate. Nur das Steigen von Resultat auf Resultat ist der wahre Gang, Kunstwerke zu erzeugen.

Für das Urtheil sind viele ausgebildet, für das Machen wenige; deshalb muß die Meisterschaft geachtet werden. Ein Kunstwerk kann nicht aus Gedanken musivisch zusammengesetzt werden, es muß ein einziger Gedanke in seiner ganzen Mannigfaltigkeit sein; der entwickelt sich, aber allein in der Darstellung und fortrückenden Erfindung der Form.

Wer da glaubt, daß alle Bausteine schon früher präpariert sind, versteht die Aufgabe der Welt sehr schlecht, er bringt Stillstand und Tod dahin, wo Fortgang und Leben sein soll.

Moderne Barbarei. In neuester Zeit hat der Begriff Barbarei einen ganz anderen Charakter gewonnen; es ist nicht mehr vollkommene Rohheit, Mangel an aller Sitte, Grausamkeit pp., sondern überfeine äußere Bildung, die keinen Grund und Boden hat. Geschmack nach der conventionellen Weise der Zeit ohne Spur von Genie, Entfernung jeder ursprünglich naiven Gesinnung, raffinirte Umgehung aller Gesetze der Gesellschaft zu egoistischen Zwecken.