„An einer Erneuerung würde ich mich beteiligen“

■ Der ehemalige SPD-Vorsitzende Herbert Brückner über die Wahlniederlage, Ursachen und Konsequenzen

taz: Ein Angelpunkt in der Diskussion innerhalb der SPD ist das Jahr 1988. Da wird heute gesagt: Wir hatten eine tiefgreifende Krise in Senat und Partei und von da an ging es bergab. Sie haben damals als SPD-Vorsitzender die Brocken hingeworfen. Schildern Sie doch einmal, wie sich der Ausgangspunkt dieser Krise aus ihrer Sicht darstellt.

Herbert Brückner: Die Krise hat bereits 1987 begonnen. Die absolute Mehrheit, die wir da errungen haben, war ein geschöntes Ergebnis. In Wirklichkeit hatten wir 14.000 Stimmen verloren. Die SPD hat die letzten vier Jahre hier nur mit Mehrheit regiert, weil die CDU-Wähler 1987 bei der Wahl zuhause geblieben sind. Wenn man die Analysen von damals ansieht, dann reichen die aus, um das Desaster dieser Wahlniederlage erklären zu können.

Was war der Tenor der Analysen?

Wir hatten keine überlagernden Themen, deretwegen man trotz Fehlern an der SPD festhält. Und die Funktionsträger hatten kaum Kontakt zur Bevölkerung. Wir hatten, damals schon erkennbar und beschrieben, und heute noch deutlicher, eine Art Funktionärsdemokratie, in der 60-70 Leute wie in einer Subkultur lebten, in einem Sitzungsfetischismus sondergleichen mit einem Vorsprung an Information die Macht untereinander aufteilten und weder zur Basis der SPD noch gar zur Bevölkerung den direkten, dauerhaften Kontakt herstellen. Beide Mängel sind Tag für Tag schlimmer geworden. Die Themen waren weg, und an Personen konnte man sich nicht orientieren. Nicht Ortsvereine kontrollierten von ihnen auf Zeit beauftragte Mandatsträger, sondern Abgeordnete hielten sich einen Ortsverein zwecks Wiedererlangung ihres Mandats.

Wenn Sie diese Mängel gesehen haben und versucht haben, Konsequenzen vorzuschlagen, woran sind Sie da gescheitert?

Die Situation war so, daß nach entsprechener Vorbereitung im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuß St. Jürgen- Straße mein Rücktritt gefordert wurde. Als ich gemerkt habe, daß nennenswerte Leute in der SPD, UB-Vorsitzende wie Peter Sakuth und Detmar Leo, nicht hinter mir stehen, hatte ich keine Lust, mich nun gegen die eigenen Leute

Herbert Brückner, ehemaliger SPD-VorsitzenderFo: Archiv

durchzusetzen. Man wollte mich loswerden. Aber man wollte natürlich auch nicht den unbequemen Weg einer Analyse und einer Veränderung der Partei gehen, die bedeutet hätte, daß die Partei sich auch in Konflikten mit dem Senat öffentlich profilieren muß. Ein dritter Kernpunkt der Analyse von heute, die damals noch nicht so erkennbar war, ist, daß die SPD alles auf eine Person abstellt. Und zwar die gesamte Politik. Alles Nennenswerte wird zur sogenannten Chefsache gemacht, fast lachhaft. Und das hat auch die Personalentwicklung in der SPD blockiert. Alle, die in dieser Funktionärsdemokratie leben, sind in irgeneiner Art abhängig oder mit vorauseilendem Gehorsam auf eine Person ausgerichtet. Wer auch immer an der Spitze steht: Es ist völlig unmöglich, daß einer alles leisten und überbringen kann. Das geht schon gar nicht, wenn große Teile der Bevölkerung mit dieser Person Arroganz und Machtwillkür verbindet.

Jetzt wird wieder eine politische Erneuerung gefordert. Ist die SPD dazu überhaupt in der Lage?

Es ist wegen der personellen Ausrichtung der Partei auf eine Per

hier bitte

den Mann am Telefon

son noch schwieriger geworden. Natürlich müßte nach dieser katastrophalen Niederlage der Spitzenkandidat, der sie wesentlich zu verantworten hat, zurücktreten. Aber wir sind schon so weit, daß die große SPD in Bremen sagt, wir könnten keinen anderen vorschlagen. Wenn sie jetzt aber notgedrungen so weitermacht, und danach sieht es im Moment aus, dann wird es in vier Jahren noch katastrophaler. In diesem Wirrwarr und dieser ziellosen Diskussion ist die Partei jetzt gefangen. Und in der Zwischenzeit werden die Macher ihre Koalition bilden und ihre Alltagspolitik weitermachen.

Waren es nur die altbekannten Schwächen der SPD oder gibt es für Sie auch aktuellere Gründe für das Debakel?

In diesem Ausmaß konnte das nur passieren, weil auch im Wahlkampf katastrophale Fehler gemacht worden sind. Da war die völlige Unterschättzung der Nölle-Kandidatur. Das hat, unabhängig von der Person, die politische Kultur verändert, weil die Wirtschaft sich zur CDU bekennt und die SPD und das Rathaus offen angreift. Das wurde unterschätzt.

Zweitens: Das Abstellen des Wahlkampfes auf eine Person und dessen Vornamen war stümperhaft. Es ist unmöglich, eine Situation „Willi wählen“ künstlich zu erzeugen.

Drittens: Die Koalitionsfrage ist verdrängt worden, so daß viele sich gefragt haben: Gehen die jetzt mit der FDP oder den Grünen. Man hätte an bestimmten Punkten sagen müssen, wohin es gehen soll, wenn man nicht die absolute Mehrheit hat.

Aber der Kardinalfehler war die Behandlung der Asylfrage: Das muß man aus der Sicht der Menschen betrachten, bei denen das ankommt. Es war mit Sicherheit von Herrn Wedemeier nicht beabsichtigt, sich an die Spitze der Rechten zu setzen, aber rübergekommen ist doch: 'Die Ausländer müssen raus. Wir brechen sogar das Recht, damit sie hier nicht aufgenommen werden.' Und wenn die Situation so schlimm ist, daß ein SPD-Bürgermeister das Recht brechen muß, dann muß man doch die wählen, die für Sicherheit und Ordnung sind.

Aus einem ähnlichen Fehler wurden keine Lehren gezogen: Als Momper und Paetzold in Berlin zwei Monate vor der Wahl mit Polizeieinsätzen gegen Wohnungsbesetzer den starken Mann spielten, haben die Leute gesagt: Wenn es so schlimm ist, dann müssen wir CDU wählen. Die sind in Schaaren zur CDU gegangen.

Diese zusätzlichen Fehler in den letzten paar Monaten, die haben dann letzlich zu dem Ergebnis geführt. Diese Wähler wieder zurückzubekommen, bedeutet für die SPD, sich im Politikstil und in den Personen zu erneuern. Bisher haben die Wähler ja noch nicht mal ein Signal, ob das angekommen ist, daß die SPD so einen in die Fresse bekommen hat. Denkzettel kann man ja nicht mehr sagen. Mein Briefträger sagt: 'Erstens war es richtig und zweitens: Sie haben es immer noch nicht gemerkt.'

Sie haben wiederholt Anzeigen für rot-grün unterschrieben. Ist die SPD überhaupt koalitionsfähig?

Die SPD muß erst mal kapieren, daß sie in jeder Koalition mit dem brechen muß, was sie in der praktischen Politik gemacht hat. Sie muß Federn lassen. Das ist offensichtlich noch nicht richtig verinnerlicht worden. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Koalitionsfrage betrachtet, dann hat die SPD die Chance, sich in einer grünen Koalition zu profilieren und den Erneuerungsprozeß tatsächlich zu vollziehen. Dazu müssen die Grünen mit konkreten Forderungen in diese Koalition gehen.

Für eine Ampel spricht die stabilere Mehrheit.

52 Mandate für rot-grün sind die Mehrheit. Wenn die Gefahr besteht, daß ein paar SPD-Abgeordnete bei der geheimen Abstimmung über die Senatoren nicht mitmachen, wie der Bürgermeister befürchtet, muß man vorher auch in der SPD klären: Stehen die Abgeordneten, die ja von der Partei nominiert sind, hinter dem, was die Partei mit Mehrheit will. Und notfalls müssen einige ihr Mandat zurückgeben. Diese Klärung steht noch bevor. Deshalb kann eine Antwort, ob die SPD koalitionsfähig ist und vier Jahre durchhält, noch nicht gegeben werden. Meine These ist: Die Partei hält nur durch, wenn sie am Anfang mit dem Erneuerungprozeß beginnt, inhaltlich und personell. Sonst müßten sich die Personen über Nacht so sehr ändern, daß sie die Erneuerung, die sie bislang behindert haben, selber machen.

Ist das nicht gerade ein Zeichen für das Dilemma der Partei, daß alle nach personeller Erneuerung rufen und niemand Namen nennt?

Ja, das ist ein Dilemma. Das der Spitzenkandidat aus diesem Ergebnis Folgerungen zu ziehen hätte, ist ganz eindeutig. Wenn die Partei jetzt aber sieht, daß das nicht geht, ist das schon ein Stück Niedergang der SPD.

Fallen Ihnen Personen ein?

Die Erneuerung müßte aus dem Potential der SPD-Mitglieder kommen, die ohne Funktionen sind und sich deshalb zurückhalten, weil sie nicht gefragt und herausgefordert wurden. Es gibt an vielen Stellen noch SPD-Mitglieder, die bei einer tatsächlichen Erneuerung im Personal und im Politikstil wieder mitmachen würden. Aber die kommen erst, wenn an der Spitze Personen sind, mit denen neu angefangen werden kann.

Wollen Sie bei einem Erneuerungsprozeß noch einmal mitmachen?

An einer Erneuerung würde ich mich schon beteiligen, aber davon ist die Bremer SPD noch meilenweit entfernt. Interview: Holger Bruns-Kösters