Vegesacker Wohnsilo: Fünf Kinder krebskrank

■ Baumaterial der Betonburg „Grohner Düne“ in Verdacht / Gesundheitsressort will prüfen

Hinter dem pitoresken Namen „Grohner Düne“ verbirgt sich eine Betonburg mit 572 Wohnungen, 422 davon werden von der Gewoba verwaltet. Die „Wohnanlage“ wurde 1972 von der Neuen Heimat nach der Devise „viel, schnell, billig' hochgezogen. Um einen sonnenlosen Innenhof ragen bis zu 14 Stockwerke auf. In diesem Wohnsilo gleich hinter dem Vegesacker Bahnhof häufen sich naturgemäß die Probleme. Mindestens zwei hängen nach Meinung betroffener BewohnerInnen zusammen.

Problem Nummer eins: Die Fassaden der Hochhäuser wurden mit Asbestzementplatten verkleidet. Bekanntlich handelt es sich dabei um einen Baustoff, der Krebs erzeugen kann und der heute nicht mehr verwendet wird. Solange die Asbestfasern im Beton gebunden sind, ist die Gefahr gering. Viele der Platten in der Grohner Düne sind allerdings grau und verwittert und scheinen an den Rändern Feuchtigkeit gezogen zu haben. Einige Kanten sind abgebrochen. „Die Kinder hier benutzen die Stücke wie Kreide und malen damit auf dem Pflaster“, haben Sozialarbeiter Peter Wührmann und seine Kollegin Atto Atkan von der Beratungsstelle Grohn beobachtet.

Problem Nummer zwei: In letzter Zeit sind der Beratungsstelle fünf Fälle von Krebs- und Tumorerkrankungen von Kindern aus der Grohner Düne bekanntgeworden: Gleich zwei Kinder einer libanesischen Familie sind erkrankt. Der heute siebenjährigen Naimeh wurde im Alter von zwei Jahren ein bösartiger Tumor am Bein entfernt. Sie wird ständig ärztlich überwacht. Ihre Schwester Jasmin starb vor fast genau einem Jahr, damals siebenjährig, nach der Operation eines Hirntumors. Der Architekt Faysal Acar hat einen dreijährigen Sohn. Als er sechs Monate alt war, diagnostizierten die Ärzte Nierenkrebs. Bei dem siebenjährigen Sohn seines Nachbarn wurden Krebszellen in der Milz festgestellt. Atto Akar weiß vom Krebstod eines etwa siebenjährigen Mädchens vor einem Jahr. Die Mutter ist inzwischen weggezogen. Die betroffenen Eltern wohnen seit über zehn Jahren in der Wohnanlage. Alle Kinder wurden dort geboren. Erst jetzt kommen die Eltern durch die Vermittlung der Beratungsstelle ins Gespräch.

Gewoba Pressesprecher Günter Höft fühlte sich erstmal gar nicht zuständig für die beklagten baulichen Mängel: Die Gewoba ist nicht Eigentümerin, sondern verwaltet die Wohnungen nur im Auftrag eines Immobilienfonds mit Sitz in Hamburg. Nach Absprache mit dem Fond teilte Höft dann mit, ein Zusammenhang zwischen den Asbestplatten und den Erkrankungen der Kinder bestehe nicht, da der gefährliche Baustoff nur außen verwandt wurde. Defekte Platten sollen allerdings im Rahmen der „Nachbesserung“ für die Grohner Düne ausgewechselt werden.

Daß Platten ausgewechselt werden, haben die Anwohner auch bemerkt — allerdings erst seit gestern Nachmittag, nachdem sie sich an die Presse gewandt haben. Atto Atkan: „Die Mieterversammlung hat schon am 22.8. den Austausch der Platten gefordert, aber bis jetzt ist nichts passiert.“

Die Asbestplatten als Verursacher der Krebserkrankungen schließt auch Matthias Gruhl von der Senatorin für Gesundheit aus. Er bezieht sich dabei auf Untersuchungen des Materialprüfungsamtes in Berlin. Gruhl: „Asbestplatten an Fassaden könnten nur zu Schädigungen führen, wenn ein Windstoß Fasern durch ein geöffnetes Fenster bläst. Die Konzentration der Fasern ist aber viel zu gering.“ Außerdem sei der Zeitraum zwischen Schädigung und Ausbruch der Kranheit bei den Kindern zu kurz. „Die Latenzzeit ist so groß, daß in der Regel erst 40 bis 45jährige erkranken“, erklärt Gruhl. Drittens schließlich „führt Asbest nur zu Lungenkrebs, ganz selten mal zu Nasen- oder Darmkrebs.“

Sozialarbeiter Peter Wührmann ist die Häufung von Krebs bei den Kindern dennoch verdächtig: „Aus meiner Wohngegend ist mir so etwas nicht bekannt. Mag sein, daß sich ein Zusammenhang mit den Asbestplatten nicht nachweisen läßt. Aber dann fliegt hier vielleicht etwas anderes rum, von dem wir noch nichts wissen.“

Diese Bedenken teilt auch Matthias Gruhl. Er will sich, verstärkt durch Toxikologen, um das Gebiet kümmern. Annemarie Struß-von Poellnitz