Keulen!

■ Georgette Dee und Terry Truck mit »Glück allein«

Und da weiß man nicht, was man sagen soll / Und man findet alles so banal / Und man nahm doch sonst oft den Mund so voll / Und jetzt stottert man mit einem Mal« singt Georgette Dee. Natürlich fühlt man sich an Marlene erinnert – wie denn auch nicht, wenn jemand diese wunderschöne Schnulze mit viel Gefühl, Effektsicherheit und tiefer Musikalität singt. Trotzdem ist Georgette Dee, auch wenn sie Marlene singt, nie in Gefahr, zur Kopie zu werden: Durchtriebener als Marlene, weniger naiv, mehr am Rand des Absturzes ins Parodistische balancierend, ordinärer. Und dann diese haarsträubenden Geschichten, die sie zwischen den Songs erzählt, vom Pianisten Terry Truck mal fassungslos, mal unter Kichern beobachtet: Das Keulen habe sie angefangen, behauptet Georgette — hauptsächlich, weil die Zigarette danach so schön sei. »Wenn man so richtig gut durchgekeult ist, kommt die Zigarette sofort dahin, wo sie hingehört!« Der Nachbar habe sich beschwert, schwadroniert sie munter weiter, sie sei also zum Keulen morgens um halb fünf in den Park gegangen – und peng! Übergangslos wechselt sie von munteren, belanglosen und allemal witzigen Plaudereien in die pure (selbstverständlich ein wenig melodramatische) Poesie: der Park im Morgengrauen, die Bäume »mit Silhouetten obendran«, der Tau, das Licht. Dann wieder — zack! — in die andere Richtung; ein junger Mann in Boxershorts (»aber so was von blond und unbehaart!«) taucht auf, macht Tai-Chi-Übungen, man begrüßt einander, der Zuhörer weiß schon, daß ihn gleich eine der Keulen treffen wird und wartet trotzdem amüsiert auf den Niederschlag. Klar, daß der junge Mann, aus der Ohnmacht erwacht, von Georgette geschultert, nach Haus geschleppt und dabehalten wird. Irgendwann gegen Ende dieses Teils der Geschichte (denn Tai-Chi- Ralph wird uns durchs weitere Programm begleiten) schlägt Terry Truck ein paar zarte Akkorde an, Georgette wühlt unter der Couchdecke tatsächlich zwei Gymnastikkeulen vor und singt: »Immer wenn ich glücklich bin, dann muß ich keulen!« Wenig später wird der verblüffte Zuhörer dann noch über die drei preußischen Ks aufgeklärt: »Kant, Keulen, Küche«.

»Glück allein« heißt das neue Programm von Georgette Dee und Terry Truck, es ist Marlene Dietrich gewidmet (»nur gewidmet, ich bin ja nicht blöd!«). Was Glück nun tatsächlich ist, wissen wir natürlich auch nach der zweistündigen Show nicht besser; Georgette bietet zwar allerlei Definitionen an, darunter einige von Psychologen, die sie grundsätzlich verfälschend und sich verhaspelnd zitiert – die einfache Antwort, die letztendlich gegeben wird, liegt in den Liedern. Einige Marlene-Dietrich-Klassiker sind zu hören, eigenes Material von Dee/ Truck und ein Erich-Kästner- Text, den Terry Truck wunderschön vertont hat. In den Marlene-Songs erstarrt Georgette, bei aller Verehrung, durchaus nicht in Ehrfurcht; sie zeigt, wie weit ihr komödiantisches Talent auch beim Singen reicht. »Kinder, heut abend, da such' ich mir was aus / Einen Mann, einen richtigen Mann« — der Friedrich-Hollaender-Song bietet sich mit seiner etwas radauigen Musik förmlich an zum Parodieren; sie tut das hemmungslos albern, mit Brummeln, Geräuschen und Tempowechseln, die ihrem Klavierbegleiter äußerste Konzentration abverlangen. Dann wieder, ganz ernst und schlicht, »Wenn ich mir was wünschen dürfte« – nur Marlene selbst hat das ähnlich schön und anrührend gesungen.

Das Besondere an Georgette Dee — neben ihren großen gesanglichen Fähigkeiten und ihrer faszinierenden Bühnenpräsenz — ist ihr ständiges Spiel mit der Doppelrolle: Mythos und seine Entzauberung zugleich. Wenn sie eine der unsterblichen Hollaender-Balladen singt, tut sie das mit perfekter Technik und großem falschem Gefühl — oder sagen wir: der Art von Gefühl, bei der sich die Frage nach »echt« und »falsch« nicht mehr sinnvoll stellen läßt. Außer ihr kann das im deutschen Sprachraum nur noch Ingrid Caven. Und dann erzählt sie in einer ihrer Anekdoten, sie sei ja »so was von auf die Fresse gefallen« oder kommentiert einen Witz mit den Worten: »Das ist von Frankfurt über Pirmasens bis Halle nirgens gut angekommen — ich erzähl' es aber gnadenlos immer wieder!« Ob Georgette Dee diese Doppelgesichtigkeit nun bewußt, aus künstlerischem Kalkül oder einfach nach Lust und Laune vorführt: Die »Diva«, die sich plötzlich fragt: »Warum schwitz' ich denn schon so?«, hört auf, unnahbar zu sein, bringt mit den eher fernen Träumen auch den unerfreulichen Alltag auf die Bühne. Kleine Sexgeschichten, die meist nicht gut ausgehen; die Inventur im Kühlschrank, bei der sich »auf der B-Ebene« noch ein kalorienpralles Sahnetörtchen findet; nebenbei die nützlichen Haushaltstips (Finger in den Champagner halten beim Eingießen, dann schäumt es nicht über!) — ein bunter und skurriler Gemischtwarenladen, voller Anspielungen auf aktuelle Moden und Macken, voll von kleinen Weisheiten und schönsten Blödeleien.

Bei Georgette Dee wird »Liebe« immer wie »Lieebäääh« gesungen; dem Gefühl, wenn man es denn hat, tut das keinen Abbruch. Das über zweistündige Programm bestätigt Georgettes in eine Conference eingebautes Miss- Piggy-Zitat: »Irgendein Idiot hat mal gesagt, weniger ist mehr!« Gegen Ende wird auch Marlenes berühmtester Song noch aufgeführt; Georgette beweist nur nebenbei, daß sie Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt mühelos singen kann und erzählt dann mit dem Lied ihre eigene, fürchterlich alberne Geschichte. Klassiker wie Some of These Days singt sie, mit zweisprachigen Witzen versetzt, gerade noch diesseits der Parodie. Was auch immer Georgette anstellt auf der Bühne: Es wäre unmöglich ohne Terry Truck, den virtuosen Begleiter und gelegentlichen witzigen Dialogpartner. »Ich muß doch unsterblich sein«, sagt sie irgendwann, leicht grimassierend, »geht doch gar nicht anders. Was entsteht denn da für ein Loch, wenn ich weg bin!« Wie wahr. Klaus Nothnagel

Bis 18.10. täglich um 21 Uhr im Unart, Oranienstr. 163, 1/36.