Sterilisation für die Armen — High-Tech-Babys für die Reichen

■ In Rio de Janeiro trafen sich 280 Frauen aus aller Welt zu dem Kongreß „Frauen, Fortpflanzung und Umwelt“/ In Brasilien werden Tausende von armen, in der Mehrzahl schwarzen Frauen gegen ihren Willen und oft sogar ohne ihr Wissen sterilisiert/ Reiche leisten sich die In-vitro-Befruchtung

Als am 21. Mai diesen Jahres die kleine Barbara mit Hilfe eines Kaiserschnitts zur Welt kam, freuten sich nicht nur ihre Eltern, sondern auch die Ärzte eines In-vitro-Befruchtungsteams in Sao Paulo, ohne deren Mithilfe dieses Schwangerschaft nicht hätte zustande kommen können. Monique Evans, Barbaras Mutter, ist 34 Jahre alt, von Beruf Fotomodell, eines der berühmtesten brasilianischen Sexsymbole und hat bereits einen zwölfjährigen Sohn aus erster Ehe. Als sich aber herausstellte, daß ihr zweiter Ehemann, José Clark, 23, subfertil ist und auf normalem Wege wahrscheinlich nie ein Kind zeugen könnte, wandte sich das Paar an eine In-vitro-Fertilisationsklinik.

Nachdem Monique in weniger als vier Monaten eine Serie von etwa 400 (!) Hormoninjektionen zur Auslösung von Superovulationen bekommen hatte (für die Behandlung mußte das Paar etwa 12.000 US-Dollar bezahlen), gelang es schließlich nach mehreren Reagenzglasbefruchtungen und Embryotransfers eine Schwangerschaft herbeizuführen, die später in Barbaras Geburt endete. Dabei hatte Monique durchaus großes Glück, gehört sie doch zu den weniger als zehn Prozent der Frauen, die nach einer solch aufwendigen, schmerzhaften und gesundheitlich sehr bedenklichen Behandlung überhaupt ein Kind zur Welt zu bringen.

Zur gleichen Zeit werden in Brasilien Tausende von armen, in der Mehrzahl schwarzen Frauen gegen ihren Willen, oft sogar ohne ihr Wissen sterilisiert. In manchen Landesteilen sind fast 50 Prozent aller Frauen im gebärfreudigen Alter sterilisiert. Denn in den Augen internationaler Familienplanungsorganisationen gehört Brasilien zu den überbevölkerten Ländern der Welt und zum Erreichen des obersten Ziels, der Senkung der Geburtenrate, werden auch hier drastische Maßnahmen eingesetzt.

Frauen und die globale ökologische Katastrophe

Seit längerer Zeit sind die Medien voll von Berichten, die als Hauptverursacher der globalen ökologischen Katastrophe die unkontrollierte Fruchtbarkeit der Frauen, insbesondere in der südlichen Hemisphäre ausfindig machen. Die Argumentation folgt dem Schema: Mehr Menschen bedeutet auch mehr Bedürfnisse, was wiederum erhöhten Konsum bedingt, der einen schnelleren Verbrauch der begrenzten Ressourcen unserer Erde zur Folge hat und die ökologische Katastrophe beschleunigt.

Um diese Argumentation kritisch zu durchleuchten, hatten sich in den Bergen von Rio de Janeiro in einem alten Konvent Ende September/Anfang Oktober 280 Frauen aus aller Welt zusammengefunden, um eine Woche lang über „Frauen, Fortpflanzung und Umwelt“ zu diskutieren. Eingeladen hatte das brasilianische, feministische Frauennetzwerk Redeh (Netzwerk zur Verteidigung der menschlichen Spezies), die nationale Kontaktorganisation Finrrage (Feministisches internationales Netzwerk des Widerstands gegen Gen- und Reproduktionstechnologie). Gekommen waren Frauen aus mehr als dreißig Ländern, von den Bahamas über die Bundesrepublik bis Bangladesh, von Peru über Polen bis zu den Philippinen, von den USA über Uruguay bis Uganda, Frauen jeden Alters, Frauen jeder Hautschattierung, die in zahlreichen Arbeitsgruppen und Plenarsitzungen Informationen austauschten und rege diskutierten, unterstützt von einem hervorragenden Team von Dolmetscherinnen, die zwischen den drei offiziellen Konferenzsprachen (portugiesisch, spanisch, englisch) vermittelten.

Widerstandsstrategien gegen Sterilisationskampagnen

„Besondere Bedeutung hat diese Konferenz für uns, weil sie ein knappes Jahr vor der großangelegten, offiziellen Umweltkonferenz 1992, die ebenfalls in Rio stattfinden wird, die Position der brasilianischen Frauenbewegung zum Thema Ökologie klarstellt und neue Perspektiven eröffnet“, erklärte Thais Corral, Mitbegründerin von Redeh und eine der hauptverantwortlichen Koordinatorinnen der Konferenz.

„Ich freue mich, hier mit lateinamerikanischen Frauen über Bevölkerungspolitik in ihren Ländern und ihre Widerstandsstrategien diskutieren zu können. Ich bin erschreckt darüber, zu sehen, daß Sterilisationskampagnen in Brasilien noch rigider durchgeführt werden als in unserem Land“, sagte Farida Akhter von der Gruppe Übinig aus Bangladesh. „Ich arbeite an einem Forschungsprojekt über traditionelle Verhütungsmethoden in Afrika und bin gekommen, um mein Wissen mit dem von Frauen aus anderen Kulturen zu vergleichen und darüber zu diskutieren, wie solche Methoden weitergegeben werden können“, erläuterte Beatrice Chileshe aus Zambia.

Der Kongreß wollte in erster Linie Multiplikatorinnen erreichen, und so fanden sich hier Gewerkschafterinnen, Vertreterinnen von Landarbeiterinnen-Bewegungen, Hebammen, Ärztinnen, Mitarbeiterinnen des Gesundheitswesens, Sozialarbeiterinnen, Vertreterinnen von Frauen- und Umweltgruppen, Studentinnen, Wissenschaftlerinnen, Professorinnen. Ein knappes Jahr der zweijährigen Vorbereitungsphase und ein Teil der Konferenz wurde durch die finanzielle Unterstützung der grünnahen 'Frauenanstiftung' ermöglicht. „Unser Ziel war es, die Vernetzung und den Austausch sowohl innerhalb der brasilianischen Gruppen als auch auf internationaler Ebene zu fördern. Wir freuen uns, daß auch viele Frauen aus Bewegungen, die normalerweise keinen Zugang zu diesem Thema haben, zum Kongreß kommen konnten“, erklärte Petra Sorge von der Hamburger Frauenstiftung als Kongreßbeobachterin nach Brasilien geschickt wurde.

Zahlreiche Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit den Risiken neuer Verhütungsmethoden, wie den langwirkenden Implantaten oder dem neu entwickelten Anti-Schwangerschaftsimpfstoff, dem Zusammenhang zwischen Umwelt und Bevölkerungspolitik, den Auswirkungen der neuen Reproduktionstechniken, feministischen Alternativen, ökologischen Perspektiven und weiteren angrenzenden Themen.

In-vitro-Fertilisationskliniken nicht nur in Brasilien

Doch wie auf allen Kongressen spielte sich auch hier natürlich das Wichtigste zwischen den offiziellen Sitzungen ab. In den Kaffee-Pausen, vor, während und nach den Mahlzeiten, im Klostergarten, am Rande der abendlichen Theater- und Musikveranstaltungen, überall standen Frauen zusammen, knüpften über alle Sprachschwierigkeiten hinweg Kontakte, tauschten Adressen aus, verglichen Situationen und Perspektiven ihrer jeweiligen Länder, gaben Papiere weiter, freundeten sich an und sprachen Einladungen aus.

Daß Bevölkerungsprogramme keinen Beitrag zur Erhaltung der globalen ökologischen Ressourcen darstellen, sondern sich vielmehr gezielt gegen die Fortpflanzung bestimmter mißliebiger, meist armer, oft schwarzer oder eingeborener Bevölkerungsgruppen richten, wurde nirgends deutlicher als beim Nachdenken über die In-vitro-Fertilisationskliniken in Brasilien, Indien und anderen Ländern des Südens. Schätzungsweise drei Viertel aller ökologischen Ressourcen werden derzeit von weniger als 25 Prozent der Weltbevölkerung, nämlich den Einwohnern der reichen Länder und den reichen Klassen der armen Länder der Erde verkonsumiert.

Während die kleine Barbara sicher im Lauf ihres Lebens mehr Konsumgüter und Energiequellen verbrauchen wird als mehrere schwarze Familien eines brasilianischen Elendsviertels zusammen, sind es trotzdem Barbaras Eltern, die bei einem Cocktail am Swimmingpool darüber beratschlagen, wann ihre von ihrem letzten Versuch übrigen, derzeit noch eingefrorenen Embryonen aufgetaut und ausgetragen werden sollten, während weiterhin ein paar Kilometer entfernt die Mütter der Familien aus den Elendsvierteln sterilisiert werden. Claudia Schulze