„Wir haben diese sinnlose Gewalt satt“

Das südafrikanische Friedensabkommen vom September ist längst Makulatur — die Welle politischer Morde ist ungebrochen  ■ Aus Johannesburg Tim Murphy

Die Gewaltwelle in Südafrika hat einen neuen Höhepunkt erreicht, nachdem seit Tagen aus fast allen Provinzen Schreckensmeldungen eingehen. Der von vielen führenden politischen Kräften, insbesondere der Regierung, des ANC und der „Inkatha-Freiheitspartei“ unterzeichnete Friedensvertrag vom 14. September droht Makulatur zu werden, noch bevor seine Instrumentarien voll funktionsfähig sind.

Allein im Raum Johannesburg gab es am Mittwoch mindestens acht Tote. Drei Menschen wurden am frühen Morgen von einer Terror- Gang aus einem fahrenden Zug geschleudert, acht weitere bei dem Überfall verletzt. In der Nacht zuvor wurde an einer Sammeltaxi-Haltestelle wahllos auf Wartende geschossen. Die anderen Toten fand die Polizei im Township Tokoza, wo bei der Beerdigung eines ermordeten Politikers schon am Montag etwa 20 Menschen ermordet worden waren.

Das Massaker von Montag hat zu einer erhitzten Debatte zwischen ANC und Polizei geführt. Der ANC und verbündete Organisationen präsentierten am Dienstag Zeugenaussagen, denen zufolge Polizei und Militär an den Attacken auf die mehr als zehntausend Trauernden aktiv beteiligt gewesen seien. Außerdem wurde den während der Massaker im Township in großer Zahl präsenten Sicherheitskräften vorgehalten, die Killerkommandos erneut weder verfolgt noch verhaftet zu haben. Ein Polizei- Sprecher erklärte dagegen, die Anschläge seien abseits des Trauerzugs vorgefallen. „Wir waren da, um die Trauenden zu beschützen und waren erfolgreich“, sagt er. Staatspräsident de Klerk beschuldigte den ANC der Verzögerung von Verhandlungen. Besonders empört ist de Klerks Nationale Partei über den landesweiten Generalstreik, der Anfang November gegen die unlängst eingeführte Mehrwertssteuer durchgeführt werden soll.

Eine Beobachtungsgruppe der liberalen Anti-Apartheid-Organisation „Black Sash“ bilanzierte unterdessen am Mittwoch, daß in der Provinz Natal seit Unterzeichnung des Friedensvertrages, neben zahlreichen Brandanschlägen und Entführungen, 47 Menschen politischen Morden zum Opfer gefallen sind, insbesondere im Großraum der Hafenstadt Durban. Die „Black Sash“- Beobachter sammelten in den betroffenen Gebieten Zeugenaussagen, die die Inkatha-Krieger, die Polizeikräfte des von Inkatha regierten Homelands Kwa Zulu und das südafrikanischer Militär zahlreicher Übergriffe beschuldigen. Auch die Polizei berichtete gestern von neuen Anschlägen und Morden in Natal.

Bei einer Friedenskonferenz am Mittwoch in Kapstadt nannte der anglikanische Erzbischof und Friedensnobelpreis-Träger Desmond Tutu drei Grundbedingungen zur erfolgreichen Bekämpfung der Gewalt: eine strikte Kontrolle der Sammeltaxi-Wesens, für den Transport von Millionen schwarzer Arbeiter aus und in die Townships verantwortlich und immer wieder, zuletzt Anfang dieser Woche in Kapstadt, Schauplatz blutiger „Taxi-Kriege“; eine Rechtskommission zur Untersuchung aller Anschuldigungen gegen die Polizei; die Einlösung schwarzer Forderungen nach Land und Zugang zu anderen Ressourcen.

„Wir können uns nicht leisten zu scheitern“, mahnte Tutu, der ein düsteres Zukunftsbild für Südafrika malte, falls die Gewalt nicht gestoppt werden könne. „Wir haben diese sinnlose Gewalt satt“, sagte der Erzbischof; sie sei „ein Frankenstein“, der bald von den schwarzen Townships aufs ganze Land übergeifen könnte. Jay Naidoo, Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu und Mitglied im Nationalen Friedenskomitee, nannte es „absolut schändlich“, daß nur fünf von 5.000 politischen Morden bislang erfolgreich aufgeklärt worden seien.

Innenminister Hernus Kriel warnte unterdessen rechtsradikale Organisationen vor Anschlägen. Die Regierung sei sehr besorgt über Informationen, nach denen die zahlreichen ultrarechten Gruppierungen Südafrikas bereits Anschlagsziele ausgewählt hätten. Kriel mahnte die „Fanatiker“, ihre Vorbreitungen zu stoppen. „Wenn sie es nicht tun“, warnte er, „suchen sie nach Ärger und werden ihn bekommen.“