Aus dem Lexikon der Neuen Weltordnung

„Was hilft mir die Kälte, so ganz ohne Jacke?“  ■ Von Eduardo Galeano

Apartheid. Aus Südafrika stammendes System zur Vermeidung von Überfällen der Neger auf ihr eigenes Land. Die Neue Weltordnung wendet es auf demokratische Weise gegen die Armen der Welt, unabhängig von ihrer Hautfarbe, an.

Armut. Im Jahre 1729 verfaßte Jonathan Swift einen Bescheidenen Vorschlag, wie man verhindern könnte, daß die Kinder der Armen ihren Eltern oder ihrem Land zur Last fallen, und wie man sie dem Gemeinwohl nutzbar machen könnte. In diesem Werk empfiehlt der Verfasser, die Kinder gut zu mästen, bevor man sie aufißt. Im Lichte der bedrohlichen Entwicklung des Problems, deren Zeuge wir sind, prüfen die Experten konkrete Anwendungsmöglichkeiten dieses interessanten Vorschlags.

Austausch. Mechanismus, der es den armen Ländern erlaubt, zu „bezahlen“, wenn sie etwas kaufen — und sogar dann, wenn sie verkaufen. Ein Computer kostet in Kaffee gerechnet dreimal, in Kakao gerechnet viermal so viel wie vor fünf Jahren. (Weltbank, Zahlen aus dem Jahr 1991).

Desarrollo (Entwicklung). In den Sierras von Guatemala: „Es ist gar nicht nötig, alle zu beseitigen. Seit 1982 haben wir die Entwicklung von 70 Prozent der Bevölkerung ermöglicht, während wir 30 Prozent beseitigt haben.“ (General Héctor Alejandro Gramajo, ehemaliger Verteidigungsminister von Guatemala, seit kurzem Doktor der Politikwissenschaften an der Harvard-Universität. Veröffentlicht in: 'Harvard International Review‘, Frühjahr 1991).

Fahne. Ist so voll von Sternen, daß für die Streifen kein Platz mehr bleibt. Japan und Deutschland arbeiten an neuen Entwürfen.

Geschichte. Am 12. Oktober 1992 wird die Neue Weltordnung 500 Jahre alt.

Gift. Gegenwärtig in der Luft, im Wasser, in der Erde und in der Seele vorherrschende Substanz.

Handelsfreiheit. In den reichen Ländern verbotenes Rauschgift, wird an die armen Länder verkauft.

Ieologien, Tod der. Ausdruck, der die endgültige Ausrottung lästiger Ideen und der Ideen im allgemeinen besagt.

Konsumgesellschaft. Wundertüte voll Nichts. Hochwertige wissenschaftliche Erfindung, die die Unterdrückung wirklicher Bedürfnisse durch die Vermehrung künstlicher Bedürfnisse ermöglicht. Zweifellos stößt die Konsumgesellschaft auf einen gewissen Widerstand in den rückständigeren Gebieten. (Erklärung Don Pampero Condes, gebürtig aus Cardona, Uruguay: „Was hilft mir die Kälte, so ganz ohne Jacke?“)

Kosten/Nutzen-Rechnung. Man schätzt die Mindestkosten einer Wahlkampagne (Präsidentschaft) in den USA auf 40 Millionen Dollar. In den Ländern des Südens sind die Herstellungskosten eines Präsidenten dank der Abwesenheit von Steuern und der niedrigen Lohnkosten (Wahlhelfer) bedeutend geringer.)

Krieg. Zur Bestrafung der Länder des Südens, wenn sie Preissteigerungen ihrer Exportgüter fordern. Das jüngste Beispiel ist die erfolgreiche Lektion, die dem Irak erteilt wurde. Um den Erdölkurs zu korrigieren, war es Anfang 1991 unumgänglich, 150.000 Schadensfälle — auch „Menschenopfer“ genannt — in Rechnung zu stellen.

Krieg, kalter. Schnee von gestern. Gegenwärtig herrscht ein spürbarer Mangel an Feindbildern. Interessierte wenden sich an das Pentagon, Washington, D.C., oder an die nächste Polizeistelle.

Macht. Nord/Süd- Beziehung. Anwendbar auch auf Aktivitäten, die im Süden von BewohnerInnen des Südens ausgeübt werden, und die so denken, leben, konsumieren: als wäre es im Norden.

Markt. Ort, an dem der Preis der Leute und anderer Waren bestimmt wird.

Natur. Die Archäologen haben einige Überreste davon aufgefunden.

Ninjas, Schildkröten. Gewaltätige kleine Tiere, die mit Hilfe eines Zaubertranks, der sich so wie der Dollar grenn stuff nennt, das Böse bekämpfen.

Ordnung. Die Welt verbraucht für militärische Forschung sechsmal mehr an öffentlichen Geldern als für die medizinische Forschung (Weltgesundheitsorganisation, 1991).

Privatisierung. Transaktion, vermittels derer der argentinische Staat Eigentum des spanischen Staates wird.

Regierung. Im Süden eine Institution, die auf die Verbreitung von Armut spezialisiert ist und sich regelmäßig mit seinesgleichen trifft, um die erzielten Resultate zu feiern. So enthüllte die letzte Konferenz über die Armut, die in Ekuador unter Teilnahme aller lateinamerikanischen Regierungen stattfand, daß es gelungen ist, 62,3 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung zur Armut zu verdammen. Die Konferenz sprach sich lobend über die neue Integrierte Methode zur Messung der Armut (=MIMP) aus.

Reichtum. Nach Meinung der Reichen macht er nicht glücklich. Nach Meinung der Armen ermöglicht er zumindest so etwas Ähnliches wie Glück. Die Statistiken sagen jedoch, daß die Reichen reich sind, weil sie wenige sind. Polizei und Militär sorgen dafür, daß jegliches Mißverständnis in dieser Hinsicht ausgeschlossen ist.

Staatsschuld. Vertrag, den jeder Südamerikaner bei seiner Geburt für die bescheidene Summe von 2.000 Dollar unterschreibt, um den Knüppel zu bezahlen, der ihn verprügeln wird.

Straffreiheit. Belohnung, die der Terrorismus erhält (sofern es sich um Staatsterrorismus handelt).

Television. Cultura universalis. Diktatur des Einen Bildes, das in allen Ländern herrscht. Die ganze Welt hat künftig die Möglichkeit, die gleichen Bilder zu sehen und die gleichen Worte zu hören. Im Unterschied zur verblichenen Einparteiendiktatur steht die Diktatur des Einen Bildes im Dienste der Glückseligkeit des Menschengeschlechts und der Förderung seiner Intelligenz.

Welt. Gefährliche Gegend. „Trotz des Verschwindens der sowjetischen Bedrohung ist die Welt weiterhin ein Hort der Gefahr.“ (George Bush, Rede vor dem Nationalkongreß, 1991)

Weltkarte. Ein Meer mit zwei Ufern. Im Norden: wenige mit viel Besitz. Im Süden: viele mit wenig. Der Osten, dem es gelungen ist, nicht mehr Osten zu sein, will zum Norden gehören, aber ein Schild am Eingang zum Paradies weist darauf hin: „Besetzt.“

Aus dem Italienischen:

Leopold Federmair