Wotans Künstlerheim

■ „Rheingold“ zum Auftakt von Wernickes „Ring“ in Brüssel

Man soll den Ring nicht vor dem Abend der Götterdämmerung loben. Doch soviel deutet sich bereits nach dem Vorspiel Rheingold an: Herbert Wernickes Produktion könnte sich in die Reihe markanter, prägender Realisierungen dieses musikdramatischen Hauptwerks des 19. Jahrhuderts einfügen. Denn sie nimmt, bei aller Sparksamkeit der aufgebotenen Mittel, Richard Wagner beim Wort. Seine „unmöglichen“, das heißt mit traditionellen Theatermitteln nicht zu bewerkstelligenden Regieanweisungen werden zwischen den Szenen auf dem dunkelgrauen Vorhang eingeblendet. Hinter diesem zeigt sich ein ziemlich leerer Raum, dessen etwas verkommener Zustand an einen als Künstlerwerkstatt genutzten Industriebau des vorigen Jahrhunderts erinnert. In diesem Atelier ein Flügel; auf dem Klavierstuhl eine duhkel verschleierte Frau (dem bekannten surrealistischen Bild entstiegen) — sie singt dann, man ahnte es bereits, die Partie der warnenden Erda. Drei noch kaum bearbeitete Gesteinsbrocken, künftige Plastiken, dienen den Rheintöchtern für ihr neckisches Spiel, das diesmal im Saale stattfindet (und nicht im simulierten Naß). Auf dem stark verschlissenen Sofa die alternden Götter — sie bewegen sich, wie alles bei dieser Inszenierung, langsam, jedoch stets sehr präzise; die Details der Bewegungsabläufe, Gesten und Mimik (vor allem die des Mime und des Alberich) sind so gearbeitet, daß von den hervorragend singenden Akteuren suggestive Wirkung ausgeht. Von F.J. Kapellmann, dem Alberich, wie von Hubert Delamboye, dem Loge, der wie ein extraklein geratener rothaariger König aus New York die Intrige vorwärtstreibt. Mime erinnert an den zu gut genährten Lyriker Johannes R. Becher, der in rote Bande geschlagen und von der Weltgeschichte arg gezwackt war. Der Witz steckt bei Wernicke, wie der Teufel, im Detail.

Dem Hintergrund zu verfügt das Bühnen-Atelier über ein riesiges Panoramafenster: Dunkler Tann, zunächst noch verschleiert, zeigt sich da und über ihm felsige Höhen, schneebedeckt. Auf den höchsten Gipfel, den sie erst einmal plattmachen, pflanzen Fasolt und Fafner die Akropolis (als hätten sie sich in der Spielzeugkiste vergriffen): der Geist des Nordens sucht die Schönheit des Südens mit der Seele. Aber es ist kein Zufall, daß Wotan & Co. in ihrem Walharthenon nie ankommen. Sie bleiben zu den bekanntermaßen erhabenen Klängen auf dem Parkett des Künstlerdomizils. Daß das Unternehmen musikalisch so genau ausfällt, ist Sylvain Cambreling zu danken. Der Brüsseler Chefdirigent kommt ja nach Frankfurt — und mit ihm auch sein Ring.Frieder Reininghaus