INTERVIEW
: „Kein Reformer hält US-Politik für richtig“

■ Professor William LeoGrande über die irrationale Haltung der USA gegenüber Kuba/ „Wir haben das Trauma über den Verlust von Kuba bis heute nicht überwunden“

William LeoGrande ist Mittelamerika-Spezialist an der „American University“ in Washington.

taz: Kann die kubanische Volkswirtschaft ohne aktive Hilfe der USA überhaupt wiederbelebt werden?

William LeoGrande: Ja, aber das wird ein schmerzlicher Prozeß werden. Die Kubaner haben in den letzten 30 Jahren eine solide wirtschaftliche Basis geschaffen, mit einem guten industriellen Fundament, mit den Anfängen einer Infrastruktur für eine Tourismusindustrie und mit gebildeten und hochqualifizierten Arbeitskräften. Das Potential für eine wachsende Volkswirtschaft ist da. Die Probleme sind, daß Kuba in nächster Zeit eine tiefe Rezession durchmachen muß und daß das Planungssystem drastisch verändert werden muß.

Besitzt Castro die dazu notwendige ideologische Flexibilität?

Es gibt Leute in der Führung, die in dieser Richtung argumentieren. Die verschiedenen Fraktionen bekämpfen sich gegenseitig in dem Versuch, Castro auf ihre Seite zu ziehen. Bisher scheint er sich auf die Seite der Anhänger des Status quo zu stellen. In der Vergangenheit hat Castro seine Haltung jedoch schon öfter um 180 Grad gedreht, und ich denke, daß er dazu immer noch fähig ist.

Wie schätzen Sie die US-amerikanische Embargopolitik gegenüber Kuba ein?

Sie werden auf ganz Kuba keinen Reformer finden, der die US-Politik für richtig hält; von den Dissidenten, die offen sagen, daß mit der Härte der US-Politik auch ihr innenpolitischer Spielraum schrumpft, bis zu den Reformern innerhalb der KP, die berichten, wie die Hardliner in der Partei mit der sturen Haltung der USA gegen eine Öffnung des politischen Systems argumentieren.

Wie erklären Sie sich denn diese fehlgeleitete US-Politik? Ist das die Macht der Gewohnheit oder der Einfluß der Exil-Kubaner in der Republikanischen Partei?

All dies zusammen. Erstens ist es eine Sache der politischen Trägheit. Um eine seit 32 Jahren praktizierte Haltung zu verändern, bedarf es der politischen Aktion. Und die stößt hierzulande auf Hindernisse: die konservativen Exil-Kubaner nicht nur in der Republikanischen Partei, sondern in ganz Florida. Auch ein demokratischer Präsident hätte da Probleme, die Kuba-Politik zu verändern. Außerdem halten viele die Krise in Kuba jetzt für so schwer, daß die Politik der Feindseligkeit, die bisher gescheitert ist, demnächst Erfolg haben könnte.

Was wäre denn eine richtige US-Politik?

Richtig wäre eine Politik des vorsichtigen Dialogs. Wir könnten den Kubanern nach dem Abzug der sowjetischen Truppen eine Gegenleistung anbieten, den Abzug der Truppen von Guantanamo (US-Stützpunkt auf Kuba). Oder eine Absichtserklärung, daß die USA Kuba auch nach dem Abzug der sowjetischen Soldaten nicht angreifen werden — was nur eine symbolische Wiederholung unseres Versprechens von 1962 nach der Kuba- Krise wäre. Ferner sollten die USA sofort positiv reagieren, falls aus dem Parteitag Reformansätze hervorgehen.

Und das Wirtschaftsembargo?

Dieses Embargo hat immer nur die ganz gewöhnlichen Kubaner getroffen, sonst niemanden. Deswegen war ich schon immer für seine Beendigung, obwohl dies selbst im Augenblick in den USA keine politisch durchsetzbare Forderung ist. Aber schon das Embargo für Lebensmittel und medizinische Hilfe aufzugeben, wäre ein erster humanitärer Schritt.

Ist Castro für die politische Kultur in den USA nicht so etwas wie der liebgewordene böse Bube?

Kuba ist der Buhmann im eigenen Hinterhof. Dazu muß man das historische Verhältnis zwischen den USA und Kuba verstehen. Kuba galt immer als „unser“. Seine Wirtschaft war Teil unserer Ökonomie, es war das touristische Paradies, in dem der Yankee-Dollar alle möglichen Formen der Freude kaufen konnte. Und plötzlich kamen da diese bärtigen Kerle von den Bergen herunter, nahmen uns unseren Spielplatz weg und luden dann auch noch ausgerechnet die Russen ein. Die US-Politik gegenüber Kuba hat sich in den letzten 32 Jahren auch deswegen nicht verändert, weil wir diese psychologische Niederlage, dieses emotionale Trauma über den Verlust Kubas bis heute nicht überwunden haben. Interview: Rolf Paasch