Die Wehrlosigkeit des einzelnen wird zur Würde

■ Der Autor György Konrad erhielt auf der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des deutschen Buchhandels

Frankfurt/Main (taz ) — Um mit der Auslassung zu beginnen: Es fiel kein Wort über Rushdie. Die Erwähnung seines Namens inmitten der Feier des freien Worts wurde sorgsamst vermieden. Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels wurde György Konrad verliehen, für sein Schreiben „gegen die Allmacht des Staates und für das Ethos einer zivilen Gesellschaft, die auf den einzelnen, dessen Freiheit und soziale Verpflichtung ausgerichtet ist“. So sprach die Vorsteherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, und selten war sie mehr im Recht. Die Laudatio hielt Jorge Semprun, wohl selten waren Preis- und Ehrenrede einander ebenbürtiger: Beide verzichteten vollständig auf jene Rhetorik des allgemeinen Miteinander. Beide widmeten sich vollständig jener Dialektik, die zu verteidigen sie angetreten waren: jener häufig unfreiwilligen Verknüpfung von Politik und Privatheit, welche die Lebensläufe des zwanzigsten Jahrhunderts kennzeichnet.

György Konrads Leben ist ein Überlebenswunder; von den zweihundert jüdischen Kindern seines Heimatdorfes überlebten nur sieben. Ein zweites Wunder ist die Heiterkeit und Gelassenheit, mit der er die Sonderrolle der Intelligenz verteidigt und der Hoffnung Ausdruck gibt, daß das Denken länger lebt als die Gewalt: „Verhalten sich die Regimes gegenüber der Intelligenz dauerhaft unfreundlich, so werden sie im allgemeinen durch deren indirekte Macht gestürzt.“ Trotz der ironischen Milde, von der ihre Reden getragen waren, nannten Semprun und Konrad die Probleme des Friedens in Europa beim Namen. Semprun: „Die Demokratie befindet sich unaufhörlich in der Krise, da die Krise ja Teil ihrer Normen für das Funktionieren ist, aber immer auch im Ausbau. Die Demokratie ist nämlich ein System, das seine inneren Konflikte auf sich nimmt und von ihnen lebt, von ihrer kollektiven, bürgerrechtlichen und transparenten Handhabung, mit dem Wissen, daß sie nicht aufgehoben werden können.“ Einen dieser Konflikte sprach György Konrad an, als er ein internationales Recht einklagte, das dem Zynismus des Gewohnten ein Ende machen müsse: „Der Tyrann bedroht uns gemäß seinem Beruf mit dem Tod. Das kann er um so leichter tun, als ihn die Führer der internationalen Gemeinschaft mitnichten mit dem Tod bedrohen, im Gegenteil, die Hand reichen sie ihm, lassen sich zusammen fotografieren und speisen mit ihm zu Abend.“ Es ist kaum zu hoffen, daß die anwesenden Herren Minister und Ministerpräsidenten sich diese Worte, die schweigend anzuhören zu ihrem Amte gehört, zum Maßstab ihres Handelns nehmen werden. Und vermutlich werden sie auch die Phantasie des Friedenspreisträgers, das individuelle Recht auf Leben dem der nationalen Souveränität vorzuordnen und den legalen Waffenhandel als Straftat zu ahnden, schon beim folgenden Mittagsmahle rückstandslos verdaut haben.

Möglicherweise bleibt ihnen aber eine Haltung in Erinnerung, welche die Wehrlosigkeit des einzelnen gegen die Gewalt des Staates nicht zum Gegenstand der Depression oder Verachtung, sondern dem der Würde macht. György Konrads Schreiben und Sprechen machen diese Würde lebendig; seine Melancholie ist der Zoll, den ein ungarischer Jude an die lesenden Deutschen immer noch entrichten muß. Um Konrads Unbedingtheit und Klarheit des Denkens zu charakterisieren, zitierte Semprun einen Aphorismus von Rene Char: „Die Luzidität ist die der Sonne nächststehende Wunde.“ Elke Schmitter