Menschlichkeit statt »Money Games«

■ Ein Journalist aus Malaysia plädiert dafür, SportlerInnen der sogenannten Dritten Welt zu helfen, statt über freien Eintritt für Olympia 2000 nachzudenken/ Geld ist zur diktatorischen Kraft geworden/ Der Amateurstatus interessiert niemand mehr

Berlin. Als sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu Beginn des Jahres auf den Fernsehschirmen der Welt für Atlanta als Olympiastadt 1996 entschied, hatten viele Beobachter und Sportfans das Gefühl, daß die Olympische Bewegung endgültig ihre Identität verloren hat — und daß das Geld zur bestimmenden, zur diktatorischen Kraft der Spiele geworden ist. Ohne die Amerikaner aus Atlanta für den Einsatz ihrer dicken Brieftaschen zu verurteilen, hätten die meisten Sportfreunde lieber Athen den Sieg bei der Vergabe der Spiele zum 100jährigen Jubiläum gegönnt.

Doch das IOC sah dies anders und ließ die Spiele nicht an ihren Ursprungsort zurückkehren. Seit Los Angeles vor acht Jahren die Olympischen Spiele in ein Busineß-Spektakel verwandelte, sind sie als die »Money Games« berüchtigt. Immer mehr Städte und auch die VertreterInnen der nationalen olympischen Komitees kommen auf den Geschmack: Olympia ist zum Synonym für den goldenen Schnitt geworden. Olympia ist wie Geld drucken, und zwar gleich tonnenweise. »Dabei sein ist alles, nicht das Gewinnen«, war und ist das Motto der Spiele. In den nächsten Jahren wird es lauten: »Geld machen ist alles, nicht das Gewinnen«.

In Seoul 1988 wurden erstmals Profi-TennisspielerInnen zugelassen, und spätestens hier verlor die Olympische Bewegung die Frage des Amateurstatus endgültig aus den Augen. Jeder weiß, daß Doping-Weltmeister Ben Johnson mehr mit seinem mißlungenen Comeback verdient hat, als in seiner Karriere vorher. Den Leichtathletikorganisatoren in Zürich versprach der Sprinter, auf 25 Prozent des Startgelds zu verzichten, falls er über 10,16 Sekunden auf 100 Meter bleiben würde. Sport wird zum business as usual. Jeder Star auf Rasen oder Laufbahn erhält große Summen nur dafür, daß er oder sie bestimmte Trikots oder Schuhe einer bestimmten Marke trägt. Die greisen Herren der Ringe, eigentlich Wächter über den Amateurstatus, verlieren über diese Verstöße kein Wort mehr. Das IOC selbst ist zu einem Wirtschaftsunternehmen geworden, das Millionen anhäuft und ausgibt. Geflogen wird von der IOC- Kaste nur erster Klasse, man logiert nicht unter fünf Sternen, und eine Fahrt ohne Chauffeur ist undenkbar. Es ist nichts Schlimmes daran, Geld zum Fenster herauszuschmeißen. Aber mit dem Geld Einfluß zu erkaufen, ist ein andere Sache. In dieser Hinsicht würden sich Jesse Owens und andere ewige Größen im Grabe herumdrehen, wenn sie wüßten, welche Millionensummen bei jedem großen Sporttreffen bewegt werden.

Wenn man von Owens spricht, muß man auch von seinen Leistungen im Jahre 1936 sprechen, als der Nazi- Rassismus von den farbigen Athleten besiegt wurde — nur auf dem Sportfeld und nur für die kurze Zeit der Spiele. Berlin hat Owens durch die Benennung einer Straße am Olympia-Stadion geehrt. Die passende Belohnung für einen großen Sportler, der vier Goldmedaillen gewann und noch Rekorde draufsetzte. Und wäre nicht die Vergabe der Spiele des Jahres 2000 an Berlin die passende Belohnung für die deutsche Wiedervereinigung? Wenn man vom sogenannten gesunden Menschenverstand ausgeht, wäre es die richtige Wahl — hier wo Betonmauern und Stacheldrahtzäune zu Geschichte wurden. Doch man darf auch andere Momente nicht vergessen. Zum Beispiel das Massaker an israelischen AthletInnen im Olympischen Dorf von 1972 in München. Seitdem spielen die »Sicherheits«vorkehrungen eine enorme Rolle.

Eine Idee der Berliner Olympiabewerber ist die des freien Eintritts zu den Spielen, die die Veranstalter mindestens 120 Millionen Mark kosten würde. Kostenlose Eintrittskarten sollen weltweit über Reisebüros vertrieben werden. Auch dies sieht stark nach »Money Games« aus. Denn wäre es nicht eine größere Geste Berlins wenn die Stadt mit diesem Geld Sportlerinnen aus armen Ländern die Teilnahme an Olympia ermöglichen würde? Man sehe sich nur die afrikanischen Länder an. Manche haben nicht einmal das Geld, die eigene Bevölkerung zu ernähren — wie sollen sie Geld dafür ausgeben, um AthletInnen zu den Olympischen Spielen zu schicken?

Sportbegeisterte erinnern sich an Abebe Bikala, den Äthiopier, der zweimal Gold im Marathon gewann. Das ist lange, lange her. Ein Bürgerkrieg ist gerade zu Ende, die Wirtschaft des Landes ist völlig am Boden. Es gibt sicherlich einige neue Bikalas, doch sie werden keine Chance haben, an Olympia teilzunehmen. Deshalb sollten die Berliner OrganisatorInnen arme, aber talentierte AthletInnen aus der sogenannten Dritten Welt unterstützen, die keine Mittel haben, um hierher zu kommen. Atlanta etwa gibt eine Riesensumme dafür aus, Sportjournalisten aus der Dritten Welt Weiterbildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Doch sicher wird sich Berlin nicht auf die Ebene Atlantas begeben wolllen, dem man nachsagt, die Spiele bloß »gekauft« zu haben.

Die Deutschen haben andere Werte. Volk, Kultur, Geschichte und natürlich über allem die perfekte Organisation. Doch sollten die Menschen bei Olympia das wichtigste sein — und wenn diese ihren ärmeren Mitmenschen nicht helfen, dann ist der Geist der Spiele verloren. Ich hoffe, daß ich im Jahre 2000 in Berlin sein kann und daß die Stadt nicht nur auf das große Geschäft setzt, sondern denjenigen hilft, die Unterstützung brauchen, um an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können. Rajah Nadeswaran

Rajah Nadeswaran kommt aus Malaysia und arbeitet als Redakteur für die Tageszeitung 'New Straits Times‘ in Kuala Lumpur. Er hat kürzlich für zwei Monate an einem Journalismuskurs des Internationalen Instituts für Journalismus im Westteil Berlins teilgenommen und währenddessen auch einen Beitrag für die taz geschrieben. Übersetzung: kotte