Allerlei Mauergetier

■ Der junge mexikanische Maler César Núnez in der »T&A«-Galerie

Hach! — die Galerie ist schon so schön: zwei große Berliner Altbau-Gewerberäume, ineinander geschoben und voneinander getrennt durch Stützen, weiß getünchte Wände, der Betonfußboden noch sichtbar — einfach, schlicht, froh, optimistisch. Man ist im Ostteil der Stadt, in der Nachbarschaft zum Märkischen Museum — und hier herrscht kein Jammerton, sondern verhaltene Freude, Aufbruchstimmung. Dazu tragen — neben den sympathischen und mutigen jungen GaleristInnen Tatjana Herrmann und Antonius Conte — momentan auch die hier versammelten Bilder des 1961 in Mexiko City geborenen und seit zwei Jahren in Berlin lebenden Malers César Núnez bei.

Als erstes fällt die Frische auf, die kräftige Farbe — zumal bei den etwas großformatigen Bildern, die fast durchweg mit Acryl oder Öl auf Leinwand gearbeitet sind. Der Farbschichten sind mehrere übereinandergelegt, aber immer so, daß durch sie etwas hindurchscheint, was scheinbar übermalt ist. Manchmal ist die nächst aufgetragene Schicht auch mittels eines Spachtels wieder fortgerieben worden, was den Grund dann wie Gaze wirken läßt. All diese Gründe scheinen kräftig und mit frischer Geste aufgetragen: so wie man an einem guten Morgen Bäume auszureißen sich anschickt — aber eben doch bloß Leinwand und Farbe vorfindet. Ans Werk.

Die nächste Welt, derer Núnez sich annimmt, die, die über diese Schichten und Gründe gemalt ist, mutet recht eigenartig an: Da schleicht, kriecht und klettert allerlei Mauergetier herum oder solches Insekten- und Echsenvieh, das im Unterholz, im feuchten Dschungel oder im trockenen Sand zu leben pflegt: Krebse, Grillen, Salamander, Hummer, Ameisen, Spinnen — was weiß ich. Und manchmal scheint es sich auf den Bildern zu drängen, ganz so, als ob nur diese von der Sonne beschienen sind, man sich also ein Plätzchen sichern muß, um nicht im Schatten zu liegen; oder eben wie in einem Versteck, einer Mauerspalte im sonst offenen Gelände.Es gibt zudem Situationen, bei denen dieses Getier wie erstarrt oder schlafend sich in der Farbe rekelt - stumm und lautlos.

Diese Welt bewegt sich nicht. Die Kreaturen sind auch recht schemenhaft, fast immer schwarz und kräftig ausschließlich im Schattenriß gemalt. Manchmal sind es auch nur Körperteile dieser Viechwelt, die zu sehen sind. Auf dem Bild Tarantula ruht ein zehnbeiniges schwarzes Tier mit dickem rotem Blutsack am Ende des Körpers; auf drei gleichformatigen (63 x 47 cm) und nebeneinander hängenden Bildern Promenade, Frühling und Conche de soleil de l ête sieht man tanzende Figuren und Echsen auf eingearbeiteten und übermalten Zeitungsseiten sich rekeln — alles in diesem Dunkelrot, Grau, Braun — so erdig fest. Auf lumiere du jour wieder beinig-echsiges Getier auf grün-rot- gelbem Grund, darunter dies bestimmte Hellbleu — alles kräftig, schnell, aber scheinbar überlegt und überlegen, gestisch-figürlich ausgeführt.

Überraschendes dann wieder auf Cricket (176 x 130 cm): auf gelbbraunem, wie gebeizt aussehendem Grund — Joan-Miró-hafte Zeichen: Spiralend in den Raum greifend, kratzend wie aus Wattebüschen sich hervorarbeitend — und unten wieder kraftvoll diese Grille, rot, den Rand und das Bild von dort aus ruhig und unsichtbar beherrschend. Reptile noch (175 x 139 cm): ein grün-schwarz- blauer Dschungel, blutspurrote Fäden eingewoben mit drei schwarzen Reptilien (Salamander/Echsen) und einer über das ganze Bild reichenden skelettierten ebenfalls recht echsigen Figur in Grün-Giftig-Gelb.

Manchesmal greift der Künstler auch zu Schnitz- und Stechinstrumenten um Figuren aus Holz zu schlagen. Hier spürt man ebenfalls die Vitalität des jungen Mannes und die Lust an verrenkten, aber nie grob vergewaltigten Figuren. Daß der Künstler aus einem warmen und hektischen, mit Traditionen des Holzschnittes wohlvertrauten Landes kommt, verrät sich wohl am deutlichsten hier. Im Zusammenspiel mit den kraftvollen Bildern, im Dialog mit diesen in der Ausstellung wird das allemal deutlich.

In der wilden Malerzeit von heute, in der es manchmal so scheint, als ob es den Malern nur darum geht, die Leinwände — möglichst große, versteht sich — irgendwie voll zu machen, das Ganze dann mit mythischen Namen zu versehen und so frisch und feucht und ungefirnißt wie möglich in die Galerien zu hängen — in dieser Zeit kommen einem einige der Bilder von César Núnez wie Ruhepole vor — trotz unruhiger Irritationen auf ihnen. Obwohl es auch in seinem Repertoire einige Bilder gibt, denen man die Unsicherheit und die Wiederholung einer wohl zuvor gelungenen Idee und Geste ansieht, und er — altersbedingt — noch ein unsicher Suchender und Gott sei Dank nicht (Ver-)Fertiger ist.

Und das, obwohl das manchmal fast unsichtbare, aber immer herumkreuchende und fleuchende Getier einen irritieren macht. Ein Maler, der anscheinend vorerst bei seinem Thema und der Art, sich ihm zu nähern, bleiben will und vielleicht auch gut daran tut. Sobald er sich nämlich der Figur (im Falle der großen Spinne zum Beispiel) realiter nähert, ihr malend auf den Leib zu rücken versucht — ist man geneigt, ihm die Zustimmung zu verwehren: Das nimmt den Bildern das Suggestive und uns die Imagination, die noch alle Kunst braucht. Wenn man auf den Bildern von Núnez nichts mehr zu suchen hat, sondern alles wie auf dem Teller oder der Palette präsentiert bekommt — wird's eher fad und so »naja« . Vorerst bleibt von dieser farbigen, kräftigen und frischen Malerei allerdings ein guter Eindruck.

Die A&T-Galerie will, nach Auskunft der Galeristen, in den nächsten Jahren versuchen, junge europäische Maler und Bildhauer vorzustellen. Mit dieser jetzt zweiten Ausstellung haben sie gezeigt, daß sie ein gutes Gespür haben. Antonio Conte ist eben auch Maler, was langjährige Freundschaften zu in Berlin lebenden Künstlern mit einschließt. Zu wünschen ist ihnen der Erfolg auf jeden Fall. I Martin Kieren

Galerie und Edition T&A, Wallstraße 60, 1020 Berlin bis 1. November, mo. bis fr. 15 bis 19 Uhr, sa. 12 bis 16 Uhr